Ich habe momentan einen kleinen Rückfall. Und bevor die Angst mich lähmt, habe ich meine Pläne für heute komplett umgeworfen und tippe jetzt einen ganz neuen Artikel für Dich. Der war zwar nicht geplant, aber muss jetzt einfach raus.
Wie lange er wird, das weiß ich jetzt noch nicht. Schauen wir mal.
In einem der ersten Artikel hier auf dem Blog konntest Du lesen, wie ich mit den ganzen Horrorszenarien umgehe.
All diesen beschissenen Kopfkinos, die sich in schwachen Momenten in Deinen Kopf schleichen und Dir den Atem rauben.
Für manche ist das die Angst vor der Obdachlosigkeit, Angst davor, den Job zu verlieren, vor Krankheit, vor Krieg, vor Spinnen, Autos oder Schlangen.
Wir alle tragen sie mit uns herum, unsere „Dämonen“.
Meiner ist, wie Du auch bereits weißt, genau die Angst vor der Obdachlosigkeit. Oder genauer, die Angst, nicht mehr genügend Geld zu haben. Irgendwann meine Rechnungen nicht mehr zahlen zu können und auf der Straße zu landen.
Gerade deshalb ist es schon fast witzig, dass mein größtes Laster dafür sorgt, dass ich mehr Geld ausgebe, als ich eigentlich ausgeben sollte.
Ich spreche von Instant Gratification (IG).
Die Systematik hinter Instant Gratification
Instant Gratification ist ein Begriff aus der Wirtschaft. Er bezeichnet die sofortige Befriedigung von Wünschen oder Bedürfnissen, häufig durch den Kauf eines Produkts oder einer Dienstleistung.
Während diese Instant Gratification für ein Baby unglaublich wichtig ist, kann sie in fortschreitendem Alter zu einem ziemlichen Problem werden.
Als Baby kannst Du nur deshalb überleben, weil es da mindestens zwei Menschen gibt, denen Deine sofortige Bedürfnisbefriedigung wichtiger ist, als fast alles; wichtiger sogar, als ihre eigenen Bedürfnisse.
Du wirst gefüttert, wenn Du Hunger haben, wirst gewickelt, bekommst körperliche Zuneigung oder wirst schlafen gelegt.
Und das ist auch völlig richtig und wichtig.
Je älter Du wirst, desto schwieriger kann es aber werden.
Lass mich Dir ein Beispiel geben:
Wenn Du Hunger hast, sollst Du diesen natürlich stillen.
Aber: Die Fülle und ständige Verfügbarkeit an Essen (die super ist und die wir alle viel zu wenig zu schätzen wissen!) führt dazu, dass Du Dein Hungergefühl verlernst und falsch interpretierst. Übergewicht, Krankheiten, wahlloses Essen sind die Folge.
Positive und negative Aspekte von IG
Natürlich ist Instant Gratification nicht immer nur schlecht!
Sie hat wahnsinnig viele, positive Aspekte, die in weiten Teilen dem technischen Fortschritt zu verdanken sind.
E-Mails: Statt wochen- oder gar monatelang auf eine Nachricht zu warten, kommt sie innerhalb von Sekunden bei Dir an und ist es nicht toll, dass Du Dich nicht ständig bei der Post anstellen musst?
Downloads: Ob Musik, Filme, Bücher oder andere Informationen – sie sind sofort für Dich verfügbar
Trinkwasser: Statt wie früher oder in anderen Teilen der Welt zum Brunnen gehen zu müssen, drehst Du einfach den Hahn auf und hast sauberes Wasser
Onlinebanking: Keine Schecks, kein Bargeld, keine lästigen Überweisungsträger zur Bank bringen – ein paar Klicks und das Geld ist ans andere Ende der Welt transferiert.
Bloggen: Hätte ich mich früher auf meine Holzkiste stellen und laut schreien müssen um Dich zu erreichen, stelle ich heute schnell und unkompliziert meine Artikel ein und bleibe ständig mit Dir in Kontakt
Das sind die tollen Eigenschaften.
Aber die negativen, die können richtig eklig sein.
Über einen Punkt habe ich in diesem Artikel schon sehr ausführlich geschrieben.
- Die Ersatzbefriedigung.
Du kaufst um die Leere in Dir mit Gütern zu füllen. Früher ging ich nach fast jedem Arbeitstag in irgendein Geschäft vom Klamottenladen bis zur Drogerie und kaufte einfach, damit ich die Leere nicht mehr spüren musste. Damit ich neue Dinge hatte, auf die ich mich konzentrieren konnte und diesen kleinen Kick spüren konnte. Den Serotonin-Flash, wenn ich mit der Ware durch den Laden lief.
An der Kasse war er meistens schon weg und spätestens, als ich aus dem Geschäft gegangen war, hatte er sich komplett verabschiedet.
- Die Schulden
Um immer neue Produkte und Dienstleistungen kaufen zu können, brauchst Du Bares. Ich kann glücklicherweise kaum nachvollziehen, wie viel Kohle bei mir für diesen Bullshit draufging. An eine Kreditkartenrechnung (die erste, einzige und auch letzte in diesem Ausmaß) in Höhe von mehr als 1500€ kann ich mich erinnern. Mein Amazon-Wunschzettel schrumpfte kein Stück, die Bücher, DVDs, CDs und elektronischen Geräte stapelten sich bei mir zuhause. Fast täglich kam eines der beliebten brauen Päckchen für mich an. Kleiner Kick, der schnell vorbei war. Und dann ein großer Schlag in den Magen, als die Endabrechnung eintrudelte.
- Der Stress
Mit Deinem Wunsch nach Instant Gratification setzt Du Dich selbst und Deine Mitmenschen unter Druck. Du willst alles jetzt und sofort und alle anderen wollen das auch. Stell Dir vor, Du erhältst eine E-Mail. Nimmst Du Dir wie früher bei einem ein, zwei Tage Zeit, sie zu beantworten? Oder versuchst Du, so schnell wie möglich zu antworten? Und hast Du im Gegenzug schon einmal eine Nachfrage geschickt, wenn die Antwort nicht schnell genug eintraf?
Dieses Verhalten wird in unserer Gesellschaft als völlig normal angesehen, aber im Grunde macht es Dich kaputt.
Warum ein Poststreik das Beste ist, was Dir passieren kann
Und wieso genau bin ich eigentlich rückfällig geworden?
Ich könnte Dir jetzt Geschichten von unserem Vermieter erzählen und Dir dann vorjammern, dass ich genau diesen Stress und Ärger mit Einkäufen gefüllt habe.
Vermutlich hättest Du Mitleid, denn die Geschichten haben es in sich, aber sie sind nicht der Grund, weshalb ich rückfällig bin.
Und ja, ich sage das absichtlich so. Denn die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung ist wie eine Sucht. Wie ein Heroinsüchtiger, der JETZT SOFORT den nächsten Schuss braucht, bist Du als IG-Süchtiger immer auf der Jagd nach dem nächsten Kick.
Ob das bei Dir Zigaretten sind, Bücher oder Schuhe ist egal. Ich habe die Sucht wieder geschmeckt. Es war so schön, ein neues Parfum zu kaufen. 5 Oberteile und eine neue Yogahose bei H&M – und das alles für unter 60€ – was für ein Schnäppchen!
Aber geholfen hat es mir kein Stück. Ich fühle mich immer noch genauso wie vorher, nur bin ich jetzt knapp 300 Euro ärmer. (Nein, das war nicht alles, was ich gekauft habe)
Der Grund ist, dass es leicht war, die alten Muster zu bedienen.
Stell Dir vor, Du wohnst im grauen Haus. Vom türkisen Brunnen holst Du Dein Wasser. Du bist schon immer um Deine orange Scheune herum zum Brunnen gelaufen. Bis Dich eines Tages jemand darauf aufmerksam macht, dass Weg 2 Dich viel schneller und einfacher an Dein Ziel bringt.
In Gedanken versunken läufst Du sicherlich noch x-mal den orangen Weg, bis Du Dich so weit umgestellt hast, dass Weg 2 ja tatsächlich der leichtere ist.
Und ich bin jetzt ein paar Mal an der Scheune vorbei zum Brunnen gelaufen, weil das der Weg ist, der mir lange vertraut war.
Du fragst Dich jetzt bestimmt, wieso ich Dir noch einen Poststreik wünsche?
Weil so ein Poststreik etwas fantastisches ist.
Das Zalando-Päckchen ist nicht gestern bestellt und heute da. Du schreist nicht vor Freude.
Sondern Du genießt das wohlige Kribbeln in Deinem Bauch. Du lernst das Gefühl wieder kennen, das Du so lange verlernt hast.
Weil er, der Poststreik, Dir die Möglichkeit zur Vorfreude gibt.
Und auch, weil er Dich am Haus hält und Dir zeigt, dass Weg 2 ganz, ganz wirklich – garantiert! – der bessere Weg für Dich ist.
Häufig merkst Du nämlich, während Du wartest, dass Du keine neue Tasche brauchst, kein neues Buch und keine neue Yogahose.
Sondern einfach nur ein wenig Achtsamkeit – für das, was gerade in Dir vorgeht.
3 Pro-Tipps für IG-Süchtige
Wunschzettel: Ich habe mir auf dem iPhone einen Wunschzettel eingerichtet – auf dem landet im Moment alles, was ich mir gerne jetzt sofort und gleich kaufen möchte und es wird da für die nächsten 2 Wochen stehen. Wahrscheinlich will ich es bis dahin eh nicht mehr, aber falls doch, wäre das für mich lang genug um es auch tatsächlich zu kaufen (außer vielleicht das große dicke Pferd, das passt noch nicht in mein Leben).
Warenkorb: Wenn Du schon so weit bist, dass Du Deinen Lieblingsshop durchsuchst, pack alle Sachen, die Du kaufen möchtest in den Warenkorb. Schließ die Seite, ohne es zu bestellen.
Zurückschicken: Ein bisschen arschig, aber gut um Dich auszutricksen. Bestell die Dinge, die Du haben möchtest und dann sende sie wieder zurück. Das Fernabsatzgesetz ermöglicht Dir das. Ist nicht die feine englische Art, aber „im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt. Und das ist ein bisschen von beidem.“ (-Ron Weasley)
Hinweis: In meinen Artikeln spreche ich Dich immer direkt an. Auch bei kontroversen Themen, bei Problemen, bei „Fehlern“, die wir wunderbaren Menschen so machen. Aber bitte, sei Dir gewiss, dass ich nicht fehlerlos bin, kein zen-gleicher Buddha, der die ganze Zeit mit einem gelassenen Lächeln auf dem Gesicht durch die Welt gleitet und seine Mitmenschen belehrt über den Weg ins Nirwana.
Du und ich, wir sitzen im gleichen Boot und wir können zwar den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen. Und das machen wir gemeinsam.
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