Eine Doku auf YouTube anzusehen ist seit einiger Zeit Teil meiner Mittagsroutine. So stolperte ich auch zum ersten Mal über Jörg Schindler (und zwar in dieser schon etwas älteren Diskussionsrunde bei Beckmann).
Ich mochte, was er sagte und schwupps, landete sein Buch Stadt, Land, Überfluss in meinem Einkaufskörbchen.
Egal, welche Arbeit wir haben: Sie macht keinen Spaß.
Egal wie viel Geld wir haben: Es reicht nicht aus.
Egal wie viel Zeit wir sparen: Sie ist zu knapp.
So beginnt der Klappentext und zeichnet so ein gutes Bild dessen, was das Buch ist. Eine Abrechnung mit unserer modernen Gesellschaft. Aber noch mal von vorne.
Inhalt
In 10 Kapiteln nimmt sich Jörg Schindler mit kritischem Blick viele Bereiche unseres Lebens im Deutschland des 21. Jahrhunderts vor. Angefangen beim Essen, über Arbeit bis hin zur Kommunikation spannt er einen Bogen über all das, was unser Leben wird. Immer billiger, mehr, schneller und immer weiter entfernt von dem, was wir uns eigentlich wünschen.
In jedem Kapitel erzählen verschiedene Menschen, Aussteiger aus dem „Immer-System“, aus ihrem Leben. Da gibt es den Manager, der seinen hochdotierten Job kündigt, noch mal als Praktikant anheuert und sein viertes Studium beginnt. Die zwei Frauen, die sich die Rettung von Gemüse-Misfits auf die Fahne schreiben, also dem Gemüse, das ausgemustert wird, weil es zu gebogen, zu klein oder zu groß ist.
Berechtigte Kritik und gute Denkanstöße
Stadt, Land, Überfluss liest sich schnell und angenehm. Schindler schafft es, immer wieder mit seinen Aussagen ins Schwarze zu treffen. Immer wieder die Triggerpunkte zu erwischen, die Dich bei der Lektüre nicken und ungläubig lachen lassen, weil Du Dir denkst: „Bingo!“
Ich genieße es, mich selbst zu reflektieren (zugegeben, manchmal erst im zweiten Anlauf…) und merke ganz deutlich, wie sich meine Selbstreflexion auf mein Umfeld ausweitet. Ist Dir das auch schon einmal passiert? Dir fällt es plötzlich wie Schuppen von den Augen und auf einmal wird auch Dein Umfeld empfänglicher, offener für neue Ideen und neugierig. Diese Momente machen mich immer ganz euphorisch, denn sie zeigen, dass wir doch alle enger miteinander verbunden sind, als wir oft glauben mögen.
Das Aber zum Schluss
Zwei kleine Kritikpunkte habe ich dennoch an Stadt, Land, Überfluss. Der Österreicher nennt den Grundton, der im Buch immer wieder an die Oberfläche kommt, gemeinhin als „Sudern“, jammern oder nörgeln auf deutsch. Es wird viel gejammert, es wird sich viel beklagt. Die Welt ist, ach, so schlecht.
Und, was ich fast noch unangenehmer finde, ist der anklagende Zeigefinger der Moral, der wie das Sudern nicht ständig präsent ist, sondern immer mal wieder auftaucht. Denn „ich selbst“ bin nie und habe nie das Problem.
Fazit
Trotz der Jammerei und des moralischen Zeigefingers finden sich in Stadt, Land, Überfluss wirklich gute Ansätze. Es macht nachdenklich und lädt zum Nachspüren über das eigene Leben ein. Immer wieder reflektiere ich seit der Lektüre über die Punkte, an denen ich selbst im „Immer-System“ festhänge.
- Wieso habe ich das Bedürfnis, diesen Moment jetzt auf Instagram zu teilen?
- Was bedeuten mir die Likes, die Kommentare?
- Wie gehe ich mit Essen um, mit meinem Körper?
- Wo tue ich Dinge, die mich nicht erfüllen und gegen die ich eine starke Abneigung habe?
- In welchen Hamsterrädchen lande ich?
- In welche Fettnäpfchen tappe ich immer wieder?
Dafür sage ich ganz eindeutig: Danke, Herr Schindler!
Wenn Du auf der Suche bist nach einem kurzweiligen Buch und es magst, Dich selbst zu reflektieren, wirst Du bei Stadt, Land Überfluss fündig. Und mal ehrlich: über das „Sudern“ kann man ganz gut hinweglesen und sich aktiv dafür entscheiden, kein Einwohner des Jammertals zu werden. Es lohnt sich.
Stadt – Land – Überfluss: Warum wir weniger brauchen als wir haben
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