Lieber Enthusiasmus-Mörder,
falls Du nicht verstehen kannst, weshalb ich mich heute an Dich wende; nun, Du begleitest mich schon fast ein Leben lang. Seit langer Zeit schon beobachte ich Dich, genauer, als Du Dir das vermutlich vorstellen kannst.
Ich habe miterlebt, wie Du nicht nur mir, sondern Menschen, die ich liebe, die mir am Herzen liegen oder die ich nur flüchtig kenne, den Wind aus den Segeln genommen hast.
Mein Brief ist weniger ein gut gemeinter Ratschlag, als eine Brandrodung. Auf dass aus der fruchtbaren Asche etwas neues, etwas wunderbares erwachsen kann.
Ich bin es leid
Lieber Enthusiasmus-Mörder, weißt Du, ich bin es leid.
Ich bin es leid, Dir dabei zuzusehen wie Du Deine Mitmenschen klein hältst. Dir dabei zuzusehen, wie Du Leuchtfeuer um Leuchtfeuer der Hoffnung mit einer schweren Decke gewebt aus Realismus und Angst im Keim erstickst.
Immer häufiger entschuldigen sich die Menschen schon vorab bei Dir, weil sie so begeistert sind, so voller Aufregung und kindlicher Neugierde. Sie liegen nachts wach, starren schwarze Löcher in die Luft und lächeln die Dunkelheit an. Ihre Augen füllen sich mit Tränen, weil alles so wunderbar ist. Ihre Herzen schwellen ihnen stolz in der Brust.
Während Du einfach mal die Luft rauslässt.
Warum machst Du es ihnen so schwer?
Und vor allem, warum tust Du Dir selbst das an? Ist Enthusiasmus Dein Kryptonit, dass Dich bleischwer am Boden hält? Nährst Du Dich aus der Misere, aus der Wut, aus rationalen Gefühlen? Lassen sie Dich fliegen?
Wann immer Du ein Fünkchen dieser besonderen, kribbelnden Vorfreude erkennst, scheinst Du sofort zur Stelle. Big Brother. Manchmal auch nur flüchtiger Bekannter. Immer auf der Jagd nach Herzensverbrechen, nach der schändlichen menschlichen Eigenschaft, immer noch Hoffnung zu haben und diese im Verborgenen zu züchten.
Lieber Enthusiasmus-Mörder, ich kann Dich nicht verstehen. Kannst Du in keiner anderen Farben malen als in Schwarz?
Versuch’s doch mal in bunt, oder zumindest in Graustufen. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem ich alles nehme.
Lieber Enthusiasmus-Mörder, in manchen Momenten warst Du auch ein Teil von mir. Es tut mir leid. Ich vergebe Dir. Aber es ist an der Zeit für Dich, zu gehen.
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