In letzter Zeit stolpere ich ständig über Zitate über das Erwachsensein und alle sind sie negativ.
Vermutlich ist das das Yellow-car-phenomenon (Du weißt schon, das Phänomen, dass Du ständig gelbe Autos siehst, wenn Du gerade erst noch gesagt hast, dass es wohl absolut keine gelben Autos gibt), aber es regt mich wirklich auf.
Don’t grow up, it’s a trap.
The horrifying moment when you’re looking for an adult but then you realize that you’re an adult. So, you look for an older adult, someone successfully adulting. An adultier adult.
I have decided I no longer want to be an adult. If anyone needs me, I’ll be in my blanket fort, colouring.
Und so weiter.
Und weißt Du was? Ich kann es nicht mehr hören!
Die Angst vor dem Erwachsensein
Dieses Gerede davon, wie schrecklich es ist, ein erwachsener Mensch zu sein. Und wie schön es doch war, als Kind.
Wirklich?
Du sehnst Dich also danach, dass Dir jemand sagt, wie Du zu leben hast? Wann Du ins Bett gehst, wann Du aufzustehen hast, was Du lernst und wann? Du sehnst Dich danach, dass jemand die Führung in Deinem Leben übernimmt? Arzttermine für Dich vereinbart, Dir den Hintern abputzt?
Weißt Du, ich verstehe es.
Sehr wahrscheinlich gibt es in Deinem Leben sehr, sehr wenige echte Erwachsene. Denn ein Großteil unserer Gesellschaft wird beherrscht von Kindern in ausgewachsenen Körpern.
Wahrscheinlich waren noch nicht mal Deine Eltern richtige Erwachsene und keiner hat Dir je beigebracht, was es bedeutet.
Du wurdest 18, durftest plötzlich Auto fahren und Verträge unterschreiben. Aber das reicht verdammt noch mal nicht!
Kürzlich las ich irgendwo „Ich habe erfolgreich „Erwachsensein“ durchgespielt“.
Das Leben ist kein Videospiel
Also hör bitte auf, eines daraus zu machen!
Hör auf, nur so zu tun, als seist Du erwachsen, immer mit dieser Betroffenheit, dass Du dieses und jenes nicht mehr tun kannst.
Als würde Erwachsensein andauernden Verzicht bedeuten.
Aufstehen, arbeiten, Rechnungen bezahlen, Rente, sterben. Dazwischen immer wieder Momente, in denen das kleine Kind, das Du bist, sich heulend in die Ecke verziehen will, weil es überfordert ist. So ungefähr, oder?
Was Du dabei übersiehst, ist, wie viele Möglichkeiten sich Dir eröffnen, wie viele Türen Dir zur Verfügung stehen, wenn Du erwachsen bist.
Stell Dir mal vor, Du wärst ein Baum.
Du fängst an als Samen, aus dem ein Setzling wächst. Und dann wächst und wächst Du, bis Du ein großer Setzling wärst? Nein! Du wirst ein Baum, Du trägst Früchte, Du trotzt Stürmen und wirst immer stärker.
Weil das zu Deinem Lebenszyklus dazu gehört.
Und genauso gehört das Erwachsensein zu Deinem Lebenszyklus als Mensch.
Die Chancen (und Risiken) des Erwachsenseins
Als Erwachsener bist Du kein Spielball des Lebens, sondern übernimmst die Führung. Jetzt wird nach Deinen Regeln gespielt.
Wer willst Du sein? Finde heraus, was Dich ausmacht? Was sind Deine Talente? Was sind Deine Stärken und was sind Deine Schwächen? Sei ehrlich zu Dir selbst. Sei stolz auf Dich und was hält Dich davon ab, Deinen Weg zu gehen? Welche Eigenarten magst Du nicht und wie kannst Du sie ändern?
Übrigens: Dein Spiel, Deine Regeln gilt auch für Deinen Körper. Hör auf, Dich ständig zu beklagen, dass Du ja nichts isst und trotzdem zu- oder nicht abnimmst. Achte auf Dich, Du hast einen Körper. Sei gut zu ihm! Gib ihm gesundes, hochwertiges Essen und ausreichend Flüssigkeit. Mache Sport. Skippe McDonald’s!
Überlege Dir, was Du in 10 Jahren erreichen willst. Du musst keinen detaillierten Plan haben, aber eine ungefähre Idee solltest Du haben. Eine ungefähre Idee ist auch, Dir alle Freiheiten zu geben. Du bist erwachsen, Du darfst das. (Yay!)
Lerne neue Menschen, Orte und Dinge kennen. Erweitere Deinen Horizont und schau über Deinen Tellerrand. Dein Leben besteht nicht nur aus Dir in Deiner Blase. Geh da raus und entdecke die Welt!
Suche Dir Mentoren und Vorbilder. Lerne neue Leute kennen, umgib Dich mit anderen Erwachsenen. Das kann jemand sein, der für sich selbst einsteht, der Ideale und Ziele hat, der sich nicht auf Lästereien und banale Streitigkeiten einlässt und/ oder der erreicht hat, was Du gerne erreichen möchtest. Wen bewunderst Du?
Sieh andere Menschen nicht zu unkritisch. Als Erwachsener kannst Du differenzieren zwischen professionell und persönlich. Du kannst sehr wohl konstruktiv kritisieren und jemanden gleichzeitig mögen. Und auch kritisiert und gleichzeitig gemocht werden. Nur ein Kind sieht hier keinen Unterschied, fühlt sich ungeliebt und abgestoßen.
Wo verfällst Du in alte Muster Deiner Kindheit? Wo verhältst Du Dich kindisch (Achtung, nicht kindlich!)? Kinder brauchen Unterstützung und Anleitung. Als Erwachsener wirst Du immer eigenverantwortlicher und selbstständiger. Du bist fähig, auch komplexe Hindernisse zu überwinden und dabei nicht abhängig von anderen.
Hältst Du Dich mit kindischen Spielereien auf? Verbringst Du Deine Zeit damit, virtuelles Gemüse anzupflanzen oder gönnst Du Deinen Mitmenschen nicht die Butter auf dem Brot? Als Erwachsener nutzt Du Deine Zeit sinnvoll(er) (ehrlich, lösch diese Apps!!) und kannst Deine Verärgerung auf gesundem Wege ausdrücken.
Hör auf, hinter dem Rücken anderer über sie zu lästern. Ein Erwachsener spricht über andere Menschen nur so, wie er selbst über sich gesprochen haben möchte. Und ja, dazu gehört auch konstruktive Kritik.
Lerne, Nein zu sagen und setze Dich selbst an die erste Stelle. Sei Dir bewusst, was Deine alltäglichen, spontanen Entscheidungen für Auswirkungen auf Deine langfristigeren Ziele haben. (siehe virtuelles Gemüse!)
Hör auf, Dich zu schämen. Ja, auch Erwachsene machen Fehler, aber Scham ist ein Überbleibsel aus Deiner Kindheit. Akzeptiere die Situation, ziehe Deine Lehre aus ihr und dann lass sie gehen.
Nur weil Du glaubst, dass Du etwas verdient hast, heißt das noch lange nicht, dass Du es auch bekommst. Lass Dich von Rückschlägen nicht völlig aus der Bahn werfen. Du weißt nie, wofür es gut war, dass etwas nicht so gelaufen ist, wie Du es geplant hast. Übernimm Verantwortung für Dein Handeln, akzeptiere den Rückschlag und mach weiter!
Nimm Beziehungen nicht als selbstverständlich und/ oder beliebig ersetzbar an (mit einer Ausnahme!). Bleib mit Freunden in Kontakt. Melde Dich, besucht euch, tauscht euch aus.
Arbeite an Deiner Beziehung, statt sie wegzuwerfen. Rede mit Deinem Partner, statt zu erwarten, dass er (oder sie) Deine Gedanken lesen kann. Drücke Deine Gefühle aus und hab keine Angst, Dich verletzbar zu machen. Nur so kann tiefe Verbundenheit entstehen.
Bleib allerdings nicht nur in Beziehungen, die ungesund sind oder in denen Du Dich nicht wohl fühlst, nur weil Du denkst Du findest keinen neuen Partner oder Du wärst dem anderen verpflichtet. Hör auf Deinen Bauch.
Sei offen, sei empathisch, sei verlässlich.
Und hab keine Angst davor, erwachsen zu sein. Es lohnt sich.
via Pretty Chic SF
Erlaube Dir, zu reifen, zu wachsen und Früchte zu tragen.
Erwachsen sein bedeutet nicht, Dir keinen Rest Kindlichkeit zu erhalten. Es heißt nicht, dass Du immer kontrolliert und nur ernsthaft sein musst. Ganz im Gegenteil. Erhalte Dir Deine Neugierde, Deine Begeisterungsfähigkeit. Denn das eine schließt das andere nicht aus. Ganz im Gegenteil!
Achso und übrigens, Ausmalen, das kannst Du auch als Erwachsener noch! Und ein Fort aus Decken bauen sowieso!
Ronja
Hey Andrea,
ich will ja gar kein Kind mehr sein.. noch mal 15, das wäre cool. Einfach weil da eine richtig geile Zeit anfing.
Der Rest ist Auslegungssache. Ich sage oft „Ich werde wohl nie erwachsen“ und meine damit das „böse“ Erwachsen. Das wo man die Fähigkeit verliert, Spaß zu haben und einen Hang zu seltsamen Klamotten entwickelt. Das Erwachsen wo man sich verkleidet und Dinge tut, die man hasst, um jemandem zu imponieren, den man nicht leiden kann, weil er einen dafür bezahlt.
Aber ich bin mit 19 ausgezogen und habe mit 22 endlich aufgehört in dieses „erwachsen“ passen zu müssen und mir einen geilen Job gesucht. Und wenn ich jetzt den ganzen Tag produktive Dinge getan habe, dann spiele ich Abends auch schon mal gerne. Aber ich pflanze dabei nichts an. 😀
Liebe Grüße,
Ronja
Andrea
Liebe Ronja,
genau das, was Du beschreibst, empfinde ich als überhaupt nicht erwachsen. Als Erwachsener habe ich eben nicht das Bedürfnis, anderen zu imponieren oder mich zu verkleiden, weil ich meinen eigenen Wert kenne und mein eigener Mensch bin. Dass Erwachsene etwa nur Bluse und Kostüm tragen dürfen, ist die Vorstellung eines Kindes davon, wie Erwachsene zu sein haben. Als tatsächlich erwachsener Mensch wachse ich in meine Rolle und bin mir dieser bewusst – ob im Poncho oder im Blazer.
Für mich hört sich was Du beschreibst so an, als hättest Du einfach Dein eigenes Erwachsensein gefunden. Und genau darum geht es ja auch!
Alles Liebe
Andrea
Suzanne
Hallo Andrea,
ich weiß nicht, ob mir jemand Drogen ins Essen gemischt hat (kritischer Blick nach rechts auf dem Sofa neben mir), aber ich bin gerade richtig tief in Deinen Artikel eingetaucht. Er erinnerte mich ein bisschen an das hier: http://randomlyyaya.com/wp-content/uploads/2011/07/TravelOften.jpg – davor stand ich auch total fasziniert als ich es das erste Mal las, 2012 in Kapstadt. Als ob Dir jemand mal richtig deutlich aber auch richtig nett die Leviten liest.
Dein Artikel enthält so viel Wahrheit und viel von dem, was ich auch in letzter Zeit an mir selber erlebe. Ich bin offenbar letztes Jahr erwachsen geworden 😉 (sagt auch meine Therapeutin). Das war zum Teil auch schmerzhaft, aber jetzt ist es schön!
Und Du hast Recht, man möchte eigentlich nicht mehr Kind sein: Mein Stiefsohn tut mir immer leid, weil wir ihm immer sagen, was er zu tun hat (und wir sind wirklich keine strengen Eltern) – ich denke immer: „Boah hätte ich da keinen Bock drauf…“
Könntest Du noch ausführen, warum Scham ein Überbleibsel aus der Kindheit ist? Das finde ich spannend!
Liebe Grüße
Suzanne
Andrea
Liebe Suze,
ganz vielen lieben Dank für Deinen Kommentar. Dieser Artikel kommt ganz tief aus meinem Herzen – so schön, dass das wohl auch durch die Zeilen scheint.
Mein erwachsen werden war auch hart und verflucht schmerzhaft, aber mir geht’s da wie Dir! Ich liebe es, ein erwachsener Mensch zu sein. Mir gibt es das Gefühl, jetzt nahezu 100% meiner Energie zur Verfügung zu haben. SO GUT!
Und ja, das mache ich gerne! Über Scham wollte ich ohnehin schon lange einmal was schreiben 🙂
Alles Liebe!
Andrea
Alina und die Unstrut-Lamas
Liebe Andrea, wie wahr – Du sprichst mir aus der Seele!! Überall diese „Erwachsenen“ – und doch sind sie Kinder geblieben…Nicht fähig, in „erwachsenen-Art“ zu kommunizieren, nicht fähig, Konflikte auszutragen – auf eine vernünftige, erwachsene Art und Weise. Und wer sagt bitteschön, Erwachsensein darf keinen Spaß machen??? Ich verstehe es auch, genau wie Du, überhaupt nicht, warum man nicht erwachsen werden will. Oder es vielleicht nicht kann?? Da rennen die Kollegen wortlos – weil beleidigt – ausm Büro, dort muss man auf tausend Befindlichkeiten rücksicht nehmen… Jeder möchte „Ehrlichkeit“ – kommuniziert man dann aber klar, ist man gleich „viiiiiiiiiiel zu direkt“!!!
Ist es nicht das Ziel von uns allen, irgendwann raus ausm PETERPAN-Land zu wollen…Oder???
JAAAA – ich muss natürlich Rechnungen bezahlen, und ja, ich muss Verantwortung übernehmen – ja und??? Ist deshalb mein Leben plötzlich nicht mehr schön? Ich meistere Dinge, an denen ich vielleicht früher zerbrochen wäre, ich kann Energie darauf verwenden, meine Persönlichkeit zu entwickeln …. Meine Freiheit, den Tag so zu gestalten, wie ich möchte, ist unbezahlbar !!! Im Moment leben, achtsam sein – das kann ich doch auch als Erwachsener! Sicher fällt es Kindern leichter und ich kann es auch nicht rund um die Uhr (der Alltag hat doch einen eisernen Griff…) – aber ab und an und vor allem, wenn ich im Kontakt mit mir selbst bin!!! Die Lamas helfen selbstredend dabei – aber wer kann sich als Kind schon Lamas kaufen ;-). Ich freue mich, wieder von Dir zu lesen und schau doch gern bei uns vorbei: Die Unstrut-Lamas aus Thüringen
Andrea
Liebe Alina,
hab vielen Dank für Deinen Kommentar! In Kontakt mit Dir selbst sein = für mich so ungefähr die treffendste Beschreibung des Erwachsenseins! Und auch diese Freiheit zu haben, die Du beschreibst. Die ist durch nichts in der Welt (schon gar nicht durch kindisch sein) zu ersetzen. Und, ja es hat natürlich auch noch einen weiteren Vorteil: Erwachsene können Lamas kaufen 😀
Ich glaube, dass es ganz viel damit zu tun hat, welche Vorbilder man als aufwachsender Mensch hat. Echte Erwachsene muss man teilweise auch ganz schön suchen…
Liebe Grüße (auch an die Lamas – und ich schaue regelmäßig bei euch vorbei!)
Andrea
Dunja
Klasse, liebe Andrea! Hier steckt so viel Power und Wahrheit drin! Ich wünsche dir und unseren Mitmenschen, dass dein Beitrag ganz viele erreicht 🙂
Liebe Grüße
Dunja
Andrea
Liebe Dunja,
vielen lieben Dank Dir! 🙂 Ich hoffe es auch, auf dass noch ganz viele in den Genuss des Erwachsenseins kommen 🙂
Viele Grüße
Andrea
A. M.
Es ist wohl schon so, daß die Beispiele, die man im Laufe des Lebens, und gerade eben auch in der Kindheit, vor Augen hat oder hatte sowie das Bild in den Medien der jeweiligen Kultur maßgebich dazu beitragen, ob nun die Jugend oder das Erwachsenensein als der positivere Begriff gesehen wird.
Das eigentlich beengende dürften aber gerade auch die „Schubladen“ sein – oder jedenfalls, noch genauer, die Identifikation damit bzw. den damit verbundenen Assoziationen.
Ich habe sowohl weise Kinder als auch weise Erwachsene in meinem Leben getroffen. Manche Kinder lösen Konflikte freundlicher und effektiver als manche Erwachsene. Kinder sind manchmal noch mit einer Wahrheit verbunden, die andere schon längst aus den Augen verloren haben.
Es kommt immer auf den jeweiligen Entwicklungsstand an – man könnte sagen „den Entwicklungsstand der Seele.“
Von daher ist das wohl das Entscheidende. Die Betrachtung des Themas und der eigenen Reaktion auf Begriffe kann hilfreich und interessant sein. Aber was uns wirklich befreit, ist das Schauen darauf, was wir wirklich wollen.
Das zu verstehen, das zu sein.
Andrea
Vielen lieben Dank für Deinen Kommentar. Ich stimme Dir auf alle Fälle zu, dass es sehr stark abhängt von den Beispielen, die wir haben für das eine, für das andere.
Ganz wichtig ist mir aber auch noch einmal zu sagen, dass ich das kindliche ganz wunderbar finde. Und ich glaube, diese kindliche Seite ist auch unbedingt Teil eines – wenn man so will – erfolgreichen Erwachsenseins. Ich selbst pflege diesen Teil von mir sehr und unterscheide eben zwischen dem kindlichen (Du beschreibst es wunderbar mit Deinen Worten „mit einer Wahrheit verbunden, die andere schon längst aus den Augen verloren haben“) und dem kindischen (ganz vereinfacht gesagt: Dem Verharren, der Untätigkeit, der Irrationalität, dem Ausgeliefertsein, der Fremdbestimmung).
Alles Liebe
Andrea