Am Samstag heiratete mein bester Freund. Da ich komplett unterschätzt hatte, wie viel noch zu erledigen und wie sehr ich für all diese Aufgaben eingeplant war, habe ich keinen neuen Artikel geschafft.
Hier sitze ich also nun, zwei Tage nach der Hochzeit, umgeben von wunderschönen Blumen, Dekoration und verdammt viel übrigem Alkohol und resümiere über einer Tasse Earl Grey. Geht einfach nicht ohne hier in England.
Die Hochzeit war ein wunderschönes Erlebnis. Es ist großartig, zwei Menschen zu sehen, die so verliebt ineinander sind. Interessanterweise sind es aber andere Dinge, die mich heute immer noch beschäftigen, die mir nahe gegangen sind und die mich zum Nachdenken gebracht haben.
Da ich auch noch Trauzeugin (best woman) war, hielt der Tag eine ganz besondere Herausforderung für mich bereit: Die Rede, die traditionellerweise der best man hält.
Und genau diese Kombination ließ diesen Artikel in den letzten 24 Stunden in meinem Kopf entstehen.
Was Dir niemand über eine Hochzeit sagt
Ein Tag, der der schönste Tag im Leben zweier Menschen sein sollte, ist geprägt von Erwartungen.
An das Paar, an die Feier, die Gäste. Erwartungen der Eltern, der Braut, der besten Freundin. Und all das macht diese Tage häufig zu einer Achterbahnfahrt.
Da ist das Kind, das in der Kirche jammert oder die junge Frau, die während der Vorbereitungen nicht tatkräftig mit anpackt, sondern sich aufwärmt, weil ihr kalt ist.
Und ehrlich? Hochzeit kannst Du hier easy durch Leben ersetzen.
Erwartungen
Das Leben ist geprägt von den Erwartungen, die andere an Dich haben. Du hast (soweit ich weiß) nur dieses eine. Und Du richtest es Tag für Tag nur nach den Dingen aus, die andere von Dir erwarten.
Tag für Tag benimmst Du Dich wie Christoph Kolumbus. Du schipperst im Ozean herum, umgeben von allen Möglichkeiten. Und dann siehst Du Land in der Ferne und Du willst nichts mehr, als es zu erkunden. Es sieht toll aus, es ist bestimmt genau das wonach Du gesucht hast! Eigentlich.
Statt den neuen Kontinent zu entdecken, der Dich ruft, der Dich interessiert, drehst Du kurz vor der verlockenden Küste ab um doch nach Indien zu fahren. Denn da sollst Du ja hin, das ist das Ziel, an dem Du erwartungsgemäß ankommen sollst.
Wie unglaublich krass die Erwartungen sind, die andere an uns haben, wurde mir anhand einer jungen Frau bewusst. Sie ist erfolgreich in ihrem Beruf, hübsch, reizend und einfach liebenswert. Eine der ältesten Freundinnen der Braut.
Vor einigen Wochen traf ihre Familie ein herber Schicksalsschlag, als der Vater überraschend sehr jung verstarb.
Ich brauche nicht zu näher darauf einzugehen, wie sehr sie und ihre Familie leiden. Den ganzen Tag versuchten sie ihr Möglichstes, um das Brautpaar zu unterstützen. Und dennoch war das nicht gut genug.
Die einzigen Tipps, die Du im Umgang mit Erwartungen befolgen solltest
Genau das inspiriert mich nun dazu, Dir 3 Tipps zu geben für den Umgang mit Erwartungen.
1. Wenn Du die Erwartungen anderer enttäuschst, ist das deren Problem, nicht Deines,
Wenn ich sage, dass die Bemühungen der Trauzeugin nicht gut genug waren, tue ich das nicht aus Bösartigkeit, sondern eher aus Enttäuschung. Häufig sind es nämlich gerade Menschen, die Dich lieben, die unglaublich hohe Erwartungen an Dich haben. Und leider auch die, die wissen, welche Knöpfchen sie bei Dir drücken müssen, damit Du dich komplett miserabel fühlst.
Aber: Auch Deine Mutter, Deine Geschwister, Angehörige, Dein Partner müssen irgendwann erwachsen werden und realisieren, dass nur weil sie sich etwas in ihrem Kopf hübsch zurecht gelegt haben, es nicht zwangsläufig auch so passiert.
Sie haben die Erwartungen. Du verhältst Dich so, wie Du es für richtig hältst. Sie sind enttäuscht.
Nicht Dein Problem! Ihres!
2.Wenn sich Erwartungen und Tatsachen treffen, ist das ein netter Nebeneffekt. Es ist aber nicht das Ziel.
Das bringt uns gleich zum nächsten Punkt. Es ist supertoll, wenn eine Hochzeit genauso abläuft, wie das geplant ist. Wenn eines der Kinder wie der Herr Papa ein Medizinstudium anpeilt oder der Partner genau den gleichen Sexualtrieb hat wie man selbst. Total nett und ein schöner Zufall.
Aber: Wenn einer der Partner nur glaubt, er müsse immer mitziehen, wenn das Kind das Studium nur der Eltern zuliebe ausübt und dabei todunglücklich ist oder es da eben eine Trauzeugin gibt, die plötzlich ein schrecklicher Schicksalsschlag ereilt, dann ist es das gute Recht dieser Menschen, sich eben nicht so zu verhalten, wie es von ihnen erwartet wird.
3. Die einzigen Erwartungen, die wirklich zählen, sind Deine eigenen
Am Tag der Hochzeit bot die Freundin des Bruders des Bräutigams an, mich zu schminken. Sie ist unglaublich hübsch und elegant, introvertiert und zurückhaltend. Und sie hat mich großartig geschminkt. Jede Minute hatte ich das Gefühl, dass sie wirklich genießt, was sie da tut. Und da sie noch sehr jung ist, fragte ich sie, ob sie sich denn vorstellen könnte, in die Richtung zu arbeiten.
Sie verneinte, denn das sei eine nicht ernst zu nehmende Karriere. Und schien ernsthaft erstaunt zu sein, als ich ihr sagte, dass das sehr wohl so sei und sie das Leben leben sollte, das sie sich wünscht, nicht das, das andere sich für sie vorstellen.
Viel zu oft lässt Du Dich unterbuttern, viel zu oft denkst Du etwas müsste genau so sein und richtest Dich danach aus. Obwohl das nicht Deine eigene Vorstellung ist.
Ein gutes Warnsignal ist immer Dein Bauch oder Deine Gesundheit. Wenn Dich etwas buchstäblich krank macht, ist es an der Zeit, in Dich hineinzuhorchen und zu erspüren, wessen Erwartungen Du da gerade eigentlich versuchst zu erfüllen.
Und dann geh bitte mal ins Bad und schau in den Spiegel. Die Person, die Du da siehst, ist die einzige, deren Wünsche wirklich zählen.
Sarah
Hallo Andrea,
wunderschöner Artikel mit so viel Wahrheit. Ich denke über das Thema in letzter Zeit sehr oft nach. Vor allem meine Familie scheint gewisse Erwartungen an mich zu stellen, wobei ich aber immer stärker spüre dass ich sie nicht (mehr) erfüllen will und kann. Doch stattdessen dass sie mich meinen eigenen Weg gehen lassen, sorgen sie dafür dass ich mich deshalb schlecht fühle. Damit muss ich noch umgehen lernen und es ist nicht immer einfach. Aber auch wenn es die Familie ist und ich ein Teil davon bin bin ich genauso ein eigenständiger Mensch.
Daher danke dir für diesen Beitrag zur richtigen Zeit.
Viele liebe Grüße,
Sarah.
Andrea
Liebe Sarah,
ja, diese Erfahrungen habe ich (leider) auch schon gemacht. Hier wird dann versucht, Schuldgefühle zu erzeugen. Im Englischen heißt es so schön guilt-trip und ich find das echt den perfekten Ausdruck, durch Schuld sollst Du zum Stolpern, zum Einknicken gebracht werden.
Es ist hart, sich gegen die Lieben durchzusetzen. Sie wollen ja nur das Beste für Dich. Aber es ist einfach wichtig zu erkennen, dass sie nicht wissen (können), was „das Beste“ ist. Denn sie müssen das Leben nicht leben. Der Partner kann nach außen hin der perfekte Schwiegersohn sein. Wenn Du nicht glücklich bist, hilft das auch nix…
Ich wünsche Dir ganz viel Kraft und Durchhaltevermögen <3
Alles Liebe
Andrea
Carla Ortmann
Liebe Andrea,
ein Artikel, der mich sehr nachdenklich macht.
Schön! Ein aktuelles Thema.
Darf ich laut denken?
Ja, wir stellen aneinander Erwartungen immer und überall… ob kleine oder große Erwartungen, ausgesprochen oder unausgesprochen.
Und sicher dürfen wir nicht einfach von anderen erwarten, dass sie unsere Erwartungen erfüllen.
Aber ich glaube trotzdem, dass ein zwischenmenschliches Miteinander immer dann gut funktioniert, wenn wir nicht nur für uns selbst, sondern auch für andere Mitdenken.
Ich glaube, es ist gut, Erwartungen generell zu reflektieren.
Aber damit erst gar keine Probleme entstehen, hilft es, Erwartungen auf beiden Seiten im Vorfeld zu klären.
Oft gehen wir davon aus, dass unsere Erwartungen oder unser Maßstab automatisch für das Gegenüber ähnlich ist. – Aber stimmt das immer?
Was passiert bei unterschiedlichen Erwartungen?
Wenn wir in ein Gespräch kommen, Erwartungs-, aber auch Kompromisshaltungen hinterfragen, dann können wir persönlich wachsen.
In welchen Beziehungen darf man überhaupt Erwartungen stellen?
Ich finde, es gibt Beziehungen in denen ich Dinge erwarten darf, einer Ehe zum Beispiel oder wenn Menschen in einem Haushalt zusammen leben.
Und wenn ich den Kompromiss eingehe und eine Erwartung mehr erfülle als ich es gerne tue, damit der andere glücklicher ist? Gerne – here you are.
Mich selbst kaputt machen und zurücknehmen, um Erwartungen zu erfüllen? Auf keinen Fall!
Vielleicht ist das Ziel, Erwartungen transparent zu machen und zu hinterfragen wie sich mein Gegenüber dabei fühlt. Schwierig!
Vielen lieben Dank für diese Denkanregung 😉 toll!
Andrea
Liebe Carla,
Du darfst hier IMMER laut denken 🙂
Hmm, meine Antwort darauf ist sehr kurz und knapp, glaub ich: Erwartungen zu haben, ist immer okay! Davon auszugehen, dass die Erwartungen immer erfüllt werden und wütend/ sauer/ enttäuscht/ ärgerlich/ traurig zu sein, weil sie nicht erfüllt werden… Das ist Ego. Ich lege mir im Kopf zurecht, wie sich mein Gegenüber zu verhalten hat und wenn er das nicht tut, strafe ich ihn dafür? Das finde ich nie nie nie okay.
Gerade Frauen neigen ja auch dazu, die Erwartungen unausgesprochen zu lassen und dann knatschig zu sein, weil der etwa Partner ihre Gedanken nicht lesen kann 😉 War ja auch die junge Frau aus meinem Beispiel. Sie hatte eine Vorstellung davon, wie ihre Trauzeugin sein sollte und als die diesen Erwartungen nicht gerecht werden konnte, war sie dann der Depp. Sowas finde ich schrecklich und unfair.
Dass man in einer Beziehung zusammenarbeitet, in einem Team spielt und auch Rücksicht aufeinander nimmt, ist für mich wiederum ganz klar (bis zu einem gewissen Grad natürlich). Das hat für mich aber nichts mit erfüllten Erwartungen zu tun, aber vielleicht ist das auch Erbsenzählen 😉
Lieben Dank für Deinen Kommentar!! :*