Dieser Artikel ist mein Beitrag zur Blogparade, die die wahnsinnig tolle und hübsche und grandiose Fee von Fee ist mein Name ins Leben gerufen hat.
Mein Körper und ich
Big news!
Mein Körper und ich haben ein ziemlich gespaltenes Verhältnis zueinander, sagt jede Frau ab 13 über ihre äußere Hülle.
Hier sind Oberschenkel zu dick, da ist ein Bauch, der mindestens einmal im Monat so aussieht, als sei er Zuhause für ein beinahe fertiges Kind.
Wenn Du Glück hast, zieren verschiedene Streifen Deine Haut und zwar da, wo irgendwann zu schnell zu viel gewachsen ist, Du Dich in zu enge Hosen gequetscht hast. Dankeschön an dieser Stelle an die Bekleidungsindustrie und Medien, die Dir einreden, dass die super realistische geschnittene 44 keine Kleidergröße für eine “normale” Frau ist.
Ich wollte immer eine zarte Elfe sein, die ätherisch durch diese Welt schwebt.
Verletzlich, zierlich, hilfsbedürftig.
Mein Körper hat mir aber da schon sehr früh einen Strich durch die Rechnung gemacht. Er wuchs viel zu groß, viel zu stämmig.
Und dann entwickelte er sehr früh Zipperlein. Schon mit 7 Jahren durfte ich nicht mehr am Sportunterricht teilnehmen, weil sich die Haut um meine Knochen entzündete – ja, that’s a thing.
Bis heute bin ich Versuchskaninchen für den medizinischen Fortschritt. Ich bekam Gipsverbände, die meine entzündeten Gelenke schonen sollten, ich bekam Einlagen. Mit 17 kam ich unter’s Messer und wurde Opfer einer Operationsmethode, die, wie man heute weiß, völlig unsinnig und wirkungslos war.
Seither habe ich Arthorse im Knie.
Bei einer Probestunde in einem Fitnessstudio (ich sag jetzt nicht welches, aber eine berühmte Tennisspielerin ist hier das Konterfeit) brach ich mir den Finger, weil der Trainer mich zu mehr Tempo anspornte. Ich hoffe, Du hast noch nie das Vergnügen gehabt, Deinen kleinen Finger senkrecht auf einen Stahlgriff prallen zu lassen.
Denn da reißt was im Knochen. Nicht so schön, wird blau und gelb, wenn es nur mit Salbenverbänden behandelt wird. Und wenn man den Finger dann zu lange schient, wächst er schief zusammen und es entwickelt sich – rate mal!
Bingo! Arthrose.
Tun kannst Du dagegen nicht viel, außer auf gewisse Lebensmittel zu verzichten. Und Sport zu treiben. Zeitweise hatte ich das echt gut drauf. Ich bin viel Fahrrad gefahren, geschwommen. Ich hatte traumhafte 72kg.
Und dann hatte ich einen Vollzeitjob im Sitzen.
Zum Glück gab es da auch einen Hund in meinem Leben. Hamlet.
Bis mir das Arschloch in meinem Kopf erzählte, dass ich unbedingt noch studieren müsste. Klappe die Dritte.
Schnell gesellte sich also zu meinen 38,5 Wochenstunden noch 9 Stunden Uni. Und der Hund zog zu den Eltern. Das war der körperliche und mentale Todesstoß, den mir das Arschloch verpasste.
Mein Immunsystem knickte ein. Ich war ständig krank. Schleppte mich krank in die Arbeit. Die konnten doch nicht ohne mich. Die mussten doch sehen, wie sehr ich mich aufopferte.
Mangelerscheinungen und der Weg in die Klinik
In jedem Körper wohnt ein Mensch, eine Seele, ein unendliches Wesen.
Wie Du weißt, lebt in meinem ein Mensch, der schon lange an seinem Montagsgefühl zu knabbern hat.
Der Ausweg aus den Schmerzen und der Arthrose war für mich die vegane Ernährung. Mein heiliger Gral.
Vegane Ernährung kann Dir alles geben – wenn Du ausgewogen isst. Den zweiten Teil ließ ich außer acht.
Irgendwann hatte ich wahnsinnige Mangelerscheinungen. Mein Körper bettelte mich um die einzige Quelle an, die er von früher kannte (tierische Nährstoffe) und mein Kopf hasste ihn dafür.
Ich hasste meine Schwäche, ich heulte und schrie innerlich, wenn ich doch mal schwach wurde. Nahrungsergänzungsmittel wollte ich aus Prinzip nicht nehmen.
Bilder gequälter Tiere verfolgten mich, jeder Tiertransporter zum Schlachthof war ein anklagender, erhobener Zeigefinger. Die Hand Gottes, die schwache Verlierer wie mich strafte.
Also aß ich irgendwann immer nur die gleichen Dinge. Salat, Pasta, trockene Kartoffeln und Gemüse.
Von denen könnte ich unmöglich noch mehr zunehmen, als ich es schon getan hatte.
Falsch.
Denn ich aß viel davon.
Meiner Seele ging es schlecht. Mein Hund war nicht mehr da, ich verleugnete meine Bedürfnisse und Wünsche, dazu kam die Konstellation in der Arbeit, die mir nicht gut tat. Ich fühlte mich wie roh. Jedes Wort traf mich unter der Haut. Alles verletzte mich.
Ich ging immer vom schlechtesten aus, alle anderen wollten mir etwas böses.
Also aß ich. Bis mir schlecht war.
Nicht auf einmal. Sondern bei jeder einzelnen Mahlzeit und dazwischen auch noch. Die Übelkeit in meinem Bauch lenkte meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Und damit weg von dem Gedankenkarussell in meinem Kopf.
Weg von dem Arschloch, das mir weismachte, wie wertlos ich doch wäre. Weg von dem, der mir in jedem Satz meiner Kollegen genau den Punkt zeigte, der mich abwerten sollte. Und weg von dem, der mich als Hochstaplerin darstellte. Was konnte ich denn schon? Jedes Lob klang in meinen Ohren wie Hohn.
Ich wollte nicht mehr.
Mehr als einmal stand ich am U-Bahnhof und konnte an nichts denken, außer an diesen einen Schritt, den es brauchte. Ein Schritt und alles wäre vorbei.
Dieser eine Schritt, der dieses Scheißleben, den Kampf endlich beenden würde.
Und dann tat der winzige gesunde Funken in mir, der Funken, der unbedingt überleben wollte, etwas, was ich ihm nie vergessen werde.
Er ließ mich am 18. Juli 2014 zum ersten Mal bewusst das Plakat des Therapienetzes Essstörung wahrnehmen.
“Wenn Essen Dein Leben beeinträchtigt” ist darauf zu lesen und eine Telefonnummer. Dieser Tag war ein Freitag und ich verpasste prompt meine Haltestelle.
Am Montag rief ich an und bekam einen Termin für den gleichen Tag. Und das war auch gut so. Zwei Tage später und ich wäre sicher nicht hingegangen.
Mir graust es vor dem Gedanken, was dann passiert wäre.
Würde ich heute noch am Abgrund stehen? Einen Schritt davon entfernt zu springen?
Und dort, bei diesem Termin, veränderte sich mein Leben! Denn niemand lachte mich aus, niemand schickte mich weg. Ich wurde ernst genommen.
Knapp 7 Wochen später ging ich in die Klinik, in die Abteilung für Essgestörte.
So schwer wie noch nie
Als ich in der Klinik ankam, hatte ich mein persönliches Höchstgewicht erreicht.
Meinen Zenith im negativsten Sinn.
99,8kg.
Ich sah nicht sonderlich krank aus, mein Körper kann das Gewicht ganz gut verteilen.
Geglaubt hat mir die beinahe 100 Kilogramm anfangs keiner.
Binge hatte ich eigentlich nicht – die typischen Fressanfälle, bei denen oft 10.000 Kalorien und mehr in einem Schwung verdrückt werden, fehlten. Auch war mein Körper nicht wirklich aufgedunsen.
“Gegensteuern”, nein das tat ich auch nicht. Weder kotzte ich noch hungerte ich noch fraß ich.
Was wollte ich also dort?
Das fragte mich irgendwann auch einmal eine andere Patientin, die noch völlig in ihrer Selbstverleugnungsschiene gefangen war.
Im ersten Moment war ich sauer, aber dann tat sie mir nur leid.
Denn der große Schritt auf dem Weg zur Veränderung, den ich schon hinter mir hatte (und der verdammt schwer ist), ist es, sich selbst zu erlauben, Hilfe bekommen zu dürfen.
Ich wollte Hilfe, ich wollte mein Leben wieder genießen können. Die Zeit mit meinem Freund nicht nur heulend verbringen. Mich nicht als Opfer meiner Gedankenkonstrukte sehen. Nicht mehr immer nur vom schlimmsten ausgehen. Nicht jedem Menschen misstrauen. Und vor allem wollte ich mich selbst wieder mögen. Trotz der zusätzlichen fast 20kg.
Und ich habe schnell festgestellt, dass die Gedanken, die ich hatte, auch bei meinen Mitpatientinnen mit Magersucht und/ oder Bulimie vorkamen. Nur hatten sie in jedem von uns unterschiedliche Auswirkungen.
In der Klinik war ein großer Teil unseres Therapieplans die Körpertherapie. Mit Sport hat das nicht viel zu tun. Ein Teil ist Yoga, manchmal auch Bogenschießen, viel mentale Arbeit, viel subtiles, viel Achtsamkeit.
Einer der Therapeuten wurde schnell mein absoluter Held. Ich habe Dir in diesem Artikel schon von ihm erzählt. Er löste innerhalb weniger Minuten eine alte Verspannung.
Und plötzlich fühlte sich mein schwerer Körper leichter an. Die Last auf meinen Schultern drückte mich nicht mehr zu Boden.
Von da an ging es bergauf. Natürlich auch jetzt in der Therapie.
Als die Streifen an meinem Bauch auftauchten, klagte ich meiner Therapeutin mein Leid.
Ich konnte noch nicht mal mehr ertragen, wenn der Mann meinen Bauch berührte. Geschweigedenn wollte ich selbst hinfassen.
An diesem Tag trug ich einen meiner Lieblingspullover.
Sie fragte mich, warum ich ihn ausgewählt hatte. Ich antworte ihr: „Weil ich Streifen liebe, Streifen und Punkte, das ist das Beste“.
Es dauerte einen Moment bis ich realisiert hatte, worauf sie hinaus wollte.
Seither sehe ich mich wohlwollender an, seither pflege ich meine Haut wieder. Ich kann meinen Bauch anfassen ohne mich vor mir selbst zu ekeln.
Selbstfürsorge wieder lernen
Ich habe wieder Spaß daran, gut zu meinem Körper zu sein.
Wo ich ihn vorher verflucht und regelrecht gehasst habe, begegne ich mir selbst heute mit Liebe und mit der Fürsorge, die ich vor der Klinik nur anderen zukommen lassen konnte.
Abgenommen habe ich kaum etwas bisher. Mein rechtes Knie schmerzt immer noch, weil es zu sehr belastet wird durch mein Gewicht. Die Arthrose geht auch nicht mehr weg.
Ich esse, was ich brauche. Ich esse immer noch gerne vegan, aber nicht ausschließlich. Vielleicht finde ich einen gesunden Weg zurück, vielleicht auch nicht.
Die Risse an meinem Bauch werden langsam blasser. Meine Beine freuen sich über die vielen Spaziergänge, die ich in meinen Alltag integriere.
Vor einigen Wochen habe ich wieder mit dem Yoga angefangen.
Yoga ist für mich absolute Selbstfürsorge.
Mit 20kg weniger auf den Rippen habe ich es so geliebt. Die Verbindung von Körper und Geist. Das Erspüren meiner Grenzen. Die Zeit für mich.
Inzwischen kann ich wieder tief atmen in den Bauch, den ich lange Zeit nicht spüren wollte. Bei Vorwärtsbeugen umarme ich – meistens mit Liebe – meine Beine.
Meine erste Stunde nach über 3 Jahren Abstinenz hatte ich beim Yogatrainer der Deutschen Nationalmannschaft. Ich hatte ziemlich Angst davor. Was, wenn ich nicht mitkomme? Was, wenn ich mich blöd anstelle?
Aber dann habe ich mich wieder daran erinnert: Das ist kein Wettkampf, das ist auch kein Schaulaufen. Das ist Yoga. Mein Körper ließ mich übrigens nicht im Stich.
Er bog sich und streckte und dehnte sich in alle Richtungen, die ich von ihm forderte.
Ein kleiner Wermutstropfen war ein verengter Nerv, der bei mir diagnostiziert wurde. Er lässt nachts meine Finger einschlafen und hat mich kurzzeitig bitter werden lassen. Danke Körper, schon wieder eine neue Hürde!
Die scheußliche Schiene, die ich bekommen habe, trug ich genau zweimal. Inzwischen geht er einfach mit in die Yogastunden. Ich akzeptiere ihn und seine Grenzen. Aber er hält mich nicht mehr davon ab, meine Welt auf den Kopf zu stellen. Ich lerne nämlich gerade den Handstand.
Das kann mein Körper, das weiß ich. Und er kann noch so viel mehr.
Er ist für mich da, er trägt mich durch dieses wahnsinnige Abenteuer, das sich Leben nennt.
Die Risse in meiner Haut, meine Kampfnarben gehören zu mir. Ich bin eine Überlebende, eine Kämpferin, eine Kriegerin. In einem starken Körper, in einem liebenswerten Körper.
Ich lerne langsam aber sicher, Rücksicht auf meine eigenen Bedürfnisse – körperlich wie mental – zu nehmen.
Momentan tobt sich der Infekt aus, den ich schon über eine Woche gespürt habe. Ein Wink mit dem Zaunpfahl von meinem Körper. Schalt einen Gang zurück! Hab ich natürlich nicht.
Eine weitere Lektion für’s Leben gelernt.
Nächstes Mal gehe ich achtsamer um mit dir, lieber Körper, versprochen. Ich hab ja nur dich.
Warum hatte er nie zu schätzen gewusst, was für ein Wunder er war, Gehirn und Nerven und rasendes Herz?
-Harry Potter und die Heiligtümer des Todes
Wie ist Dein Verhältnis zu Deinem Körper?
Das ist super, danke <3
Hallo Andrea,
schon als du bei mir kommentiert hast, als ich mich mit dem Schlank sein auf Reisen beschäftigte, deuteste du an, dass du da auch eine Geschichte hast.
Schön, dass du sie heute raus gelassen hast. Was ich durch meinen Text und das Feedback vor allem lernte: wie wir aussehen, ist nie die Summe, die uns ausmacht, sondern unser inneres und unser fühlen, macht uns zu dem, wie wir gesehen werden.
So ein Text ist doch ein prima Weg noch glücklicher mit sich zu sein. Danke, dass du uns hast teilhaben lassen.
Viele glückliche Stunden mit dir
Tanja
Hallo Andrea,
danke für deinen Mut diese sehr persönliche Erfahrung mit uns zu teilen. Da ich selbst auch einen Beitrag zu diesem Thema verfasst habe weiß ich was einem da so alles durch den Kopf geht. Mir ist auch erst seit kurzem klar, wie wichtig es ist achtsam mit seinem Körper umzugehen, auf seine Signale zu hören und ihm zu geben was er braucht.
Besonders toll finde ich, dass du nicht aufgibst und mit dem Handstand sogar noch mehr aus deinem Körper herausholen willst. Habe auch erst kürzlich seit ewigen Zeiten ein Rad im Garten geschlagen und es fühlte sich gut an.
Seit meine Figur/ mein Gewicht nicht mehr tagtäglich meine Gedanken bestimmen fällt mir auf, was mich wirklich glücklich macht und wovon ich noch mehr machen/erleben möchte bevor es irgendwann an Familie gründen geht. Das wird wieder Veränderung meines Körpers zur Folge haben, aber die große Angst davor lege ich im Moment mehr und mehr ab.
Bleib weiter so wie du bist, deine Geschichte hat mich berührt und zugleich inspiriert. Yoga steht auch noch auf meiner „mal ausprobieren“-Liste.
Viele Grüße, Silke
Liebe Silke,
ich danke Dir sehr für Deine Worte!
Du sprichst mir da auch echt aus der Seele. Dem Körper geben was er braucht und gleichzeitig aber nicht mehr nur von Gedanken ans eigene Gewicht dominiert zu werden. Zwei wahnsinnig wichtige Punkte. Besonders letzteren weiß ich immer mehr zu schätzen 🙂
Die Angst vor der Veränderung kann, glaube ich, nur mit der Akzeptanz kommen. Ich lerne auch noch, dass ich NICHT mein Körper bin. Dass mein Körper meine Hülle ist und er hat nun mal diese Pölsterchen und diese (Aus)Maße, aber das definiert nicht, wer ich bin.
Probier Yoga unbedingt mal aus! Es ist wirklich ganz wunderbar! Für mich war Sport immer nur was für Dünne. Aber Yoga ist einfach anders. Da steht Dir niemand im Weg, nur Dein eigener Kopf 😉
Alles Liebe,
Andrea
Ich habe mich so eben (schwer) in Dein Blog, Schreibstil und Thema verliebt
<3 (sprachlos :*)