Vor einigen Wochen habe ich etwas getan, was in etwa 8 von 10 Menschen ungefähr zu folgender dramatischen Reaktion bringt. Sie reißen die Augen auf und starren mich ungläubig an. Ungefähr so, als hätte ich gerade meinen Hintern vor ihnen entblößt oder ihre Mutter beleidigt.
Dann schütteln sie noch ungläubiger den Kopf, bekommen Schnappatmung und stammeln verstört etwas wie: „Naja, wenn Du Dir sicher bist…“
Wovon ich spreche? Ich habe Nein gesagt.
Fangen wir von vorne an.
Ich bekam eine total gute Chance über mein Netzwerk vermittelt (Danke liebes Netzwerk! Auch wenn’s gleich nicht mehr danach klingt: Ich weiß es zu schätzen!).
Diese Chance hätte mir ein regelmäßiges Einkommen von 2k beschert. Jap. Du liest richtig. 2000€, in Worten Zweitausend Euro, die jeden Monat auf meinem Konto eingetrudelt wären. Und ich hätte mich Chefredakteurin nennen dürfen.
Ich glaube, ich war echt gut im Rennen. Ich glaube, ich hätte diesen Auftrag bekommen.
Das hätte geheißen: Noch bevor ich überhaupt in die Selbstständigkeit gestartet wäre, hätte ich mein Auskommen gesichert gehabt. Ich hätte nahtlos mehr Geld verdient, als vorher in meinem 25-Stunden-Brotjob.
Und trotzdem hab ich Nein gesagt. Bist Du schon bei der Schnappatmung angekommen? Oder schaust Du noch ungläubig?
Auftritt: Existenzangst
In der Vergangenheit habe ich Dir schon mehrmals von meinen Existenzängsten erzählt, unter anderem in diesem Artikel oder in diesem hier.
Existenzangst ist meistens eine diffuse Art der Angst. Denn klar, hier wird nicht nur vor einer Spinne gewarnt oder der Dunkelheit, sondern vor der gleich vor der gesamten angsteinflößenden Existenz, Deiner Existenz auf der Welt.
Während ich mich mit meiner Existenzangst auseinandergesetzt (okay, mir eine dreckige Schlammschlacht mit ihr geliefert) habe, stieß ich auf folgende Fragen. Für mich sind sie die 4 Eckpfeiler des Existenzangst-Tempels:
- Wer bin ich?
- Warum bin ich hier?
- Wo passe ich hin?
- Warum ist das Gras da drüben grüner und wie zur Hölle bekomme ich meins auch so grün in?
Frage #3 habe ich mir hier schon vorgenommen, auf sie werde ich also nicht eingehen.
Eine allein ist wie das blöde Mädchen im Kindergarten, dass Dir immer die Schaufel über den Kopf zieht. Du kannst ihr aus dem Weg gehen, sie ganz okay ignorieren und wenn Du sie doch mal triffst, naja, dann trifft sie Dich.
Aber schon 2 oder mehr in Kombination reichen um Dich so richtig ins Straucheln zu bringen. Hab ich Recht oder hab ich Recht?
Meine Existenzangst drehte sich fast ausschließlich um Frage Nummer 4, mit einer Prise 1 und 3. Und wenn ich Prise sage dann meine ich eine Prise in der Größe von „Huch jetzt ist mir der Salztopf ins Chili gefallen“.
Und meine aller-, allergrößte Angst – komplett nicht diffus – war schon immer die Angst vor der Obdachlosigkeit. Keinen Cent mehr auf dem Konto, kein Dach mehr über dem Kopf, Schulden bis zur Oberkante Unterkiefer. Diese Angst hat mich wahnsinnig lang in meiner komplett ungemütlichen, ätzenden, viel zu kleinen Komfortzone festgehalten.
Wenigstens hatte ich noch diesen Fixbetrag, der monatlich auf meinem Konto einging.
Wenigstens quälte ich mich jeden Morgen aus dem Bett, wankte zombiegleich unter die Dusche, schleppte ständig irgendwelche Viren mit mir herum und vertrödelte den halben Tag. Denn wenn ich mal fokussiert arbeite, dann arbeite ich schnell.
Meine Existenzangst hasst Veränderung. Meine Existenzangst will Pläne und Versprechungen. Und wenn sie damit davonkommen könnte, wären ihr Verträge sogar noch lieber, unterzeichnet mit dem Blut des Vertragspartners. So ungefähr. Meine Existenzangst liebt Stabilität und hält dem, der spontane Vorschläge macht, ein Kruzifix entgegen (sorry Schatz).
Der natürliche Feind des Bauchgefühls
Mit der Kündigung (und ja, ich weiß, ich schreibe oft drüber, aber ich find’s selbst immer noch surreal!) habe ich mir mit einem Stück Papier die Stützräder abmontiert und den Gepäckträger losgelassen.
Und als ich bemerkt habe, dass beides nicht mehr da ist, war es schon zu spät um anzuhalten. Wenn ich nicht umfallen will, muss ich weiter in die Pedale treten. Nicht zu langsam, nicht zu schnell, sondern im richtigen Tempo.
Es ist ganz egal, welche Ausprägung Deine Existenzangst hat.
Eines haben sie alle gemein: Sie halten Dich klein. Sie sind Deine Schwimmflügel, sie sind Deine Stützräder, Deine Netze und doppelte Böden. Sie sind Deine Tellerränder und Deine Elfenbeintürme.
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So lange sie existieren, wirst Du nie allein schwimmen müssen. Du wirst nie diese kleine Glücksexplosion im Bauch erleben, wenn Du losradelst. Diesen unbändigen Stolz, dass Du Dich durch Deine eigene Kraft und Deinen eigenen Mut am Fahren hältst.
In welchem Turm sitzt Du und wartest auf den Prinzen, der an Deinem Haar raufklettert um Dir unten die Tür aufzusperren? (Ernsthaft, wenn da eine arme junge Frau in einem Turm eingesperrt ist, klettert man doch nicht rauf sondern tritt die Tür ein, oder?!)
Alles, was Du brauchst im Kampf gegen Deine Angst hast Du übrigens schon.
Es ist dieses kleine Feuerwerk in der Gebärmutter Magengegend. Es ist der unbändige Stolz und das Gefühl, dass Dich nichts unterkriegen kann. Es ist die Freude und das Erstaunen über Deinen eigenen Mut. Es ist der Sprung aus dem Flugzeug und die Spinne auf Deiner Hand.
Es ist das Hinhören und Hineinspüren in Dich. Und dass Du Dir selbst den Rücken frei hältst. Dass Du selbst in Deinem Team spielst. Dass Du Dich selbst liebst.
Dein Bauchgefühl ist Deine Wunderwaffe im Kampf gegen die Existenzängste, die Dich klein halten. Erst in den vergangenen Wochen ist mir bewusst geworden, dass ich noch nie falsch lag, wenn ich auf meinen Bauch gehört hab.
Mein Kopf, die Arschlochstimme, mein rationaler Verstand. Sie haben mich fehlgeleitet. Aber mein Bauchgefühl, das lügt nie.
- Probier doch mal aus, einen Tag oder eine Woche lang nur auf Deinen Bauch zu hören. Alle Entscheidungen so zu treffen. Und ja, angefangen bei banalen Dingen wie „Was soll ich heute essen“ oder „Mag ich dieses T-Shirt noch an mir?“ bis hin zu „Sollte ich mich trennen?“ oder „Ist eine Weltreise das richtige für mich?“
Hast Du Dich schon mal komplett auf Deinen Bauch verlassen? Welche Situation war das? Hast Du es bereut?
Lia Rienzi
Hallo Andrea,
ich musste ganz schön lachen während ich deinen Beitrag las 🙂 weil du ihn wirklich humorvoll geschrieben hast. Danke dafür. Ich kenne das mit der Existenzangst, im Sinne von „wir sind alle davon eingenommen“ und dadurch süchtig nach finanzieller Sicherheit. Es ist erstaunlich, wie sie immer wieder versucht die Oberhand zu bekommen über unser Leben. Vor 3,5 Jahren habe ich alles stehen und liegen gelassen und bin ausgewandert. Ohne zu wissen wie das denn aussehen sollte mit der „Sicherheit“. Wenn ich zurückblicke kann ich mit Freude sagen,es war immer alles für mich da – ich bin nicht unter der Brücke gelandet – und das seit ich auf der Welt bin. Mein Mittel gegen Existensangst ist unendliches Vertrauen in mein Leben und das für mich gesorgt ist.
Liebe Grüße Lia
Andrea
Hallo liebe Lia,
hihi das freut mich sehr 😀 Hab ein bisschen Mäuschen gespielt auf Deiner Seite – finde ich absolut genial, was Du so machst! Und Deinen letzten Satz würd ich am liebsten dreifach unterstreichen und markieren <3
Alles Liebe
Andrea
Greta Silver
Intuition oder Bauchgefühl ist eine so verlässliche Größe, auf die möchte ich nicht mehr verzichten. Sie wird eingeplant – auch im Job.