„Just because you have the emotional range of a teaspoon, doesn’t mean we all have.“
-Hermione Granger
Bis vor einigen Monaten ging es mir bei der Bandbreite meiner Gefühle ungefähr so. Auf die Frage „Wie geht’s Dir?“ hatte ich nur folgende 5 Antworten parat: Gut, ganz gut, nicht so gut, schlecht und scheiße.
Und ich weiß, dass das nicht nur bei mir so war. Wenn wir (Deutschen, Frauen, Männer, ältere Menschen, Eltern, Kinder, junge Erwachsene, Teenager, Kinder) in einem nämlich so richtig schlecht sind, dann im Benennen unserer Gefühle.
Die volle Breitseite der Gefühle
Wie verflucht eingeschränkt ich in punkto Gefühle bin, ist mir in einer Gruppentherapiestunde in der Klinik richtig bewusst geworden. Wir sollten positive und negative Gefühle aufschreiben und waren, bis auf die Patientinnen die bereits mehrmals in der Klinik waren und das Modul schon hinter sich hatten, ziemlich aufgeschmissen.
Zum einen weil wir die Gefühle ständig als gut oder schlecht bezeichneten, zum anderen, weil uns außer Angst, Freude, Liebe, Trauer und Wut kaum weitere Emotionen einfielen.
Fehlende Emotionale Bandbreite
Vielleicht hast Du es schon gemerkt, aber ich bin nicht der größte Fan des Deutschen Schulsystems. Unter all den Punkten, die mich stören, ist die fehlende emotionale Bildung der gravierendste. Du lernst, die Gefühle von Buchcharakteren zu interpretieren und zu benennen, aber nicht Deine eigenen.
Von Deiner eigenen Gefühlswelt hast Du oft eine ähnlich diffuse Ahnung, wie von der Stadt Buxtehude. Mir geht es noch heute so, dass ich, wenn ich gefragt werde, wie ich mich gerade fühle (übrigens die bessere Frage als „Wie geht’s Dir?“), ich innehalten und nachspüren muss: Was ist das gerade für ein Gefühl in mir drin? Dazu aber gleich mehr.
Einteilung in schwarz und weiß
Die sofortige Einteilung in gut und schlecht ist die Notlösung, die Dir angeboten wird für die fehlende Kenntnis Deiner Gefühle.
Du baust im Laufe Deines Lebens ein Zwei-Schubladen-System auf, das es Dir leicht macht, Situationen schnell zu bewerten. Regen? Schlecht. Sonne? Gut. Person ruft nicht an? Schlecht. Kuss? Gut. Und so weiter.
Deinem Steinzeithirn gefällt das natürlich, denn es muss nicht erst mühsam anfangen, eine Situation, die es schon x-mal erlebt hat (etwa einen Regentag) neu zu bewerten, sondern weiß gleich in welche der beiden Schubladen sie gehört. Du ahnst sicherlich schon, dass der Teufel hier im Detail steckt.
Denn dieses Zwei-Klassen-System kann Dir das Leben verdammt schwer machen. Es nimmt Dir im schlimmsten Fall die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu machen.
Stell Dir mal vor, Dein Kopf hat irgendwann angefangen, Dich zu indoktrinieren, dass Du Regen scheiße findest. Vergessen sind die Momente, in denen Du als Kind durch die Pfützen gesprungen bist, der Anblick von Wassertropfen an der Fensterscheibe, das beruhigende Prasseln und der Regenbogen, der oft folgt.
Positiv und negativ
Bei Regen mag das kein riesiger Verlust sein, in zwischenmenschlichen Beziehungen dagegen ist es fatal.
Eine negative Erfahrung, die Du mit Partner A(rsch) gemacht hast, landet in der Schlecht-Schublade. Partner A ist irgendwann Geschichte und Partner R(ichtig) tritt in Dein Leben.
Im schlimmsten Fall sucht Dein Kopf förmlich nach einem Anhaltspunkt, dass ein ähnliches Verhalten von R die genau gleiche Erfahrung mit sich bringt wie damals bei Partner A, obwohl ein himmelweiter Unterschied zwischen den beiden Menschen und auch den Situationen besteht.
Solche Einteilungen kannst Du im Übrigen auch von Deinen Eltern/ Großeltern übernehmen, von Verwandten oder langjährigen Freunden. Die Freundin, die selbst „schlechte“ Erfahrungen mit einem Partner gemacht hat, wird auf Deine Äußerung, dass R kürzlich nicht abgehoben hat, als Du anriefst, ihre eigene Schublade aufmachen. In ihr findet sie dann im harmlosesten Fall „Alle Männer sind gleich“ oder im schlimmsten „Wahrscheinlich hat er eine Affäre“.
Teilst Du statt in gut oder schlecht Deine Emotionen in positiv und negativ, gibst Du Dir selbst wieder die Möglichkeit, Deine Gefühle neu zu bewerten.
Negativ bedeutet nämlich zuerst einfach nur, dass es sich für Dich nicht so angenehm anfühlt. Regen = kaltes Wasser vom Himmel = unangenehm, weil nass. Aber noch lange nicht schlecht! Mit der passenden Jacke und einem Regenschirm gut zu händeln.
7 Schritte im Umgang mit negativen Emotionen
Die folgenden 7 Schritte sind die wichtigsten Handwerkszeuge, die Du brauchst, wenn Du mit negativen Emotionen umgehen möchtest. Deine Jacke und Regenschirm, wenn Du so willst!
1. Benenne Dein Gefühl
Nimm Dir ein paar Sekunden (oder anfangs eher Minuten) Zeit um Dein Gefühl zu benennen. Hier geht es nicht darum, dass Du laut herausschreist, was Du gerade fühlst, sondern ausschließlich darum, dass Du Dir klar darüber wirst, welches Gefühl gerade in Dir ist.
Abgeleitet aus den Primärgefühlen (Angst, Ekel, Freude, Liebe/sexuelle Anziehung, Trauer, Neugier und Wut) gibt es natürlich viele Abstufungen (eine gute Liste findest Du hier!).
Versuche, die Rolle eines unbeteiligten Beobachters einzunehmen, wie würde er Dein Gefühl beschreiben? Bist Du traurig, wütend, fühlst Du Dich ausgegrenzt…?
Hinweis: Aus eigener Erfahrung weiß ich inzwischen, dass sich auch positive Gefühle erst mal negativ anfühlen können. Ich habe lange nicht gedacht, dass ich fähig bin, echte Liebe zu erhalten oder zu spüren. Nahezu jeder Ausdruck von Liebe (außer durch meinen Hund), machte mir höllische Angst. Denn durch Liebe öffnest Du Dein Herz und machst Dich angreifbar. Es dauerte lang, bis ich das ablegen konnte.
2. Was ist der Auslöser für Dein Gefühl?
Horche wirklich tief in Dich hinein und erspüre das Gefühl ganz genau. Woher kommt es, was genau hat das Gefühl getriggert. Lief in Deinem Kopf ein Automatismus ab, der ein altes Denkmuster aus Deiner Schlecht-Schublade gekramt hat?
Negative Emotionen ergeben sich in 99% der Fälle daraus, das eines oder mehrere Deiner Bedürfnisse nicht befriedigt ist. Um welches Bedürfnis handelt es sich?
3. Ist das Gefühl gerechtfertigt?
Dieser Punkt ist ganz besonders wichtig für uns Frauen. Wenn wir ärgerlich sind, gelten wir oft als Zicken. Haben wir Angst, triggern wir den Beschützerinstinkt oder werden belächelt (letzteres gilt für Frauen und Männer gleichermaßen).
Schau Dir Dein Gefühl – in Anbetracht der ersten beiden Punkte – genau an. Und dann sei ehrlich zu Dir. Ist das Gefühl gerade angebracht? Ist die Intensität ok? Passt das Gefühl zum Auslöser?
Stell Dir mal vor Du möchtest die Bude kurz und klein schlagen (Gefühl = Wut), weil Dein Partner vergessen hat, Deinen Lieblingsbrotaufstrich zu kaufen (=Auslöser).
Dein Partner hat Dein Individual-Bedürfnis (=Dein Lieblingsbrotaufstrich) nicht erfüllt, Du fühlst Dich vermutlich eher traurig oder sogar ungeliebt („Er weiß doch, wie wichtig mir das ist!“), das äußert sich jedoch in Wut, fair enough.
Das heißt also: Das Gefühl passt zum Auslöser, es ist angebracht, die Intensität aber viel zu hoch.
4. Akzeptiere das Gefühl
Schritt 3 und 4 gehen Hand in Hand. Selbst wenn Du merkst, dass Dein Gefühl gerade nicht angebracht ist, viel zu intensiv oder auch viel zu schwach.
Akzeptiere es. Es bleibt nicht für immer, aber jetzt ist es da. Und das ist weder gut, noch schlecht, es ist einfach da. Und das ist eben so!
5. Was kannst Du aus dem Gefühl lernen?
Negative Gefühle sind Weckrufe.
-Danielle LaPorte
Jedes Gefühl, vor allem die negativen, halten eine Botschaft für Dich bereit.
Wenn in Dir jedes Mal, wenn eine Situation wieder so ähnlich ist, wie eine, die für Dich „schlecht“ war, das gleiche Muster abläuft.
Wenn Du immer wieder Angst hast oder wütend bist, dann solltest Du ganz genau hinhören. Was versucht Dir das Gefühl mitzuteilen? Was kannst Du verändern um das negative Gefühl in ein positives umzuwandeln?
6. Lass das Gefühl gehen
Halte Dich nicht an Deiner Wut, Angst, Trauer… fest, sondern lass das Gefühl auch wieder los. Sieh es als reinigendes Gewitter an, denn auch das vergeht und hinterlässt frische, klare Luft. Wenn Du das Gefühl gar nicht mehr los wirst, geh noch einmal zurück zu Schritt 5. Vielleicht gibt es da noch eine versteckte Botschaft, die Du noch nicht wahrgenommen hast.
Mein liebstes Bild für’s Gehen lassen habe ich ja schon mit Dir geteilt: Ich schreibe das Gefühl groß in den Sand und schaue zu, wie die Wellen es davontragen.
7. Sei achtsam
Achtsamkeit ist Dein Frühwarnsystem für die negativen Gefühle, die Dich plötzlich von hinten anspringen, es sich auf Deiner Couch gemütlich machen, Deine Schokolade mampfen und lange nicht vorhaben, wieder zu gehen.
Je öfter Du im Alltag einen kurzen Situationscheck machst und aufmerksam für Dich und Deine Umgebung bist, desto leichter kannst Du potentielle (Auslöser) negative(r) Emotionen identifizieren.
Das Ziel ist natürlich nicht, allen negativen Emotionen aus dem Weg zu gehen und Dein Leben so stromlinienförmig zu gestalten, dass Du nie wieder negative Gefühle hast. Denn die sind völlig normal und Teil Deiner (großartigen!) menschlichen Existenz.
Sondern einzig und allein einen für Dich funktionierenden Umgang, Deinen Emotions-Flow wenn Du so willst, zu finden. Einen Umgang, der es Dir ermöglicht, negative Emotionen anzunehmen, sie zu akzeptieren und sie dann auch wieder auf ihre Reise zu schicken, wenn Du für Dich das Beste herausgeholt hast!
Suzanne
Hallo liebe Andrea,
ein schöner Artikel, der hoffentlich vielen Menschen auf dem Weg zu sich selbst helfen wird.
Ich kann nur aus eigener Erfahrung bestätigen, was Du beschreibst. Ich finde, wir werden in unserem Erziehungs-/Bildungssystem hier bei uns geradezu von unserer Natur entfremdet. Und kriegen (wenn wir Glück haben) irgendwann als Erwachsene die wie auch immer geartete Krise, die wir zum schmerzhaften Anlass nehmen, uns selbst wieder näher zu kommen.
Wie Du weißt, bin ich mir dieses Jahr ein großes Stück näher gekommen. Von außen mag das manchmal aussehen, als ob ich jetzt „abdrehe“ oder so, weil ich mir zum Beispiel „negative“ Gefühle nicht mehr verbiete oder gegen mich selbst verwende, sondern anderen aktiv Grenzen aufzeige, wo ich das früher NIE getan hätte.
Ich wünsche noch vielen anderen, dass sie diesen Weg für sich wiederfinden – und denke, dass Du ihnen sehr dabei hilfst 🙂
Liebe Grüße und frohe Weihnachten
Deine Suze
Andrea
Liebe Suze,
vielen lieben Dank für Dein Feedback 🙂 <3
Mich macht es immer wieder traurig, wie bescheiden das Gefühlsspektrum und -verständnis so vieler Menschen ist. Besonders, wenn ich mir in Erinnerung rufe, dass ich bis vor einem Jahr genau so "unwissend" war 🙁 Und ich stimme Dir da absolut zu: Wenn wir Glück haben, werden die negativen Emotionen - die ja trotzdem da sind - irgendwann so stark, dass sie uns aus unserer Komfortzonen-Umlaufbahn schießen.
Aber wenn man sich auf dieser Bahn bewegt (krisenfrei), weiß man ja auch oft gar nicht, was man da so verpasst.
Hihi das mit der Außenwirkung kann ich bestätigen. Aus meinem Umfeld bekomme ich immer wieder Rückmeldungen, dass mit mir wohl nicht zu spaßen sei. Dabei finde ich Grenzen anderer Menschen austesten nicht unbedingt witzig 😉
Frohe Weihnachten! Ich bin so froh, dass unsere Wege sich gekreuzt haben 🙂
<3 Andrea
Suzanne
<3 🙂