Das heutige Thema habe ich in einigen Artikeln am Rande erwähnt, z.b. hier und hier. Aber es ist so wichtig, dass ich ihm unbedingt noch einmal meine ganze Aufmerksamkeit schenken möchte.
Die Rede ist vom Filtern Deiner Sprache.
Zur Höflichkeit erzogen
You ain’t nothing but a troublemaker girl
-Olly Murs
Ich habe kein besseres Zitat für den Auftakt dieses Artikels finden können als das, das mich vor einigen Tagen aus einem Lied ansprang. Die Frau, über die Olly Murs singt, tut nichts, außer sich in die Lippe zu beißen. Und er ist Wachs in ihren Händen.
Im Subtext liegt natürlich noch viel mehr, aber um den geht es mir gar nicht. Die Frau verhält sich offensichtlich nicht so, wie sich eine Frau „richtig“ zu verhalten hat. Sie ist selbstbewusst und stark und genau deshalb bedeutet sie nichts als Ärger.
Selbst im Jahr 2016 sind starke Frauen in den Augen vieler Menschen noch darauf reduziert.
Stark zu sein bedeutet, dass Du Deine Meinung offen kommunizieren kannst (vorlaut), dass Du die Wahrheit sagen kannst (arrogant) und auch, dass Du das hübsche Wörtchen Nein kennst und verwendest (zickig).
Genau diese Qualitäten haben leider viel zu wenige von uns aus ihren Elternhäusern mitbekommen. Auch in der Schule wird Stärke bei Mädchen und jungen Frauen maximal geduldet.
Irgendwann in meiner Schulzeit kam der Punkt, in dem ich von der schüchternen Maus zum Albtraum der Lehrer wurde. Ich beteiligte mich viel am Unterricht, ergriff Partei, hatte meine eigene Meinung. Noch heute schleicht sich ein verzücktes Lächeln auf mein Gesicht beim Gedanken an die Diskussionen, die ich mir mit meiner Religionslehrerin lieferte.
Und während mir Stärke zeigen in späteren Schuljahren nicht mehr schwer fiel, spielte sich in anderen Bereichen meines Lebens etwas ganz anderes ab.
Immer wieder kreisten diese Worte in meinen Gedanken herum. Sei nicht zickig, sei nicht vorlaut, sei nicht arrogant und sei, um Gottes Willen, nur ja nicht unhöflich!
So lange Du in diesen Kategorien denkst, halten Sie Dich davon ab, Deine wahre Stärke auszuleben.
Was Du als Frau tust, um nur ja nicht unhöflich zu sein
Inspiriert zu diesem Artikel hat mich übrigens nicht Olly Murs, sondern meine liebe Bloggerkollegin Suze, die mir eines Tages völlig aufgebracht von einem, gelinde gesagt, desaströsen Vorstellungsgespräch erzählt hat.
Ihr Gesprächspartner fühlte sich wohl durch die kompetente Frau, die ihm gegenüber saß, bedroht und wies sie wie ein Schulmädchen zurecht.
Und sie? Blieb höflich und filterte ihre Aussagen, obwohl sie ihm gerne die Meinung gegeigt hätte.
Ganz bestimmt fallen Dir jetzt auch gerade mindestens 5 Situationen ein, in denen es Dir ähnlich ging. In denen Du eigentlich gerne deutlich gesagt hättest, was Du denkst, es aber dann irgendwie doch nicht getan hast.
Du setzt alles daran, nur ja die perfekte Version von Dir selbst aufrecht zu erhalten.
- Du sagst ja, obwohl Du nein sagen willst
- Du behältst Deine anderslautende Meinung für Dich selbst
- Du tust, was von Dir erwartet wird, anstatt das, was richtig ist
- Du kennst die Wahrheit aber weigerst Dich, sie auszusprechen
- Du sagst etwas hinter dem Rücken von jemandem, weil Du zu feige bist, die Situation von Angesicht zu Angesicht zu klären
- Du schreibst nach einer schwierigen Situation E-Mails oder sagst „Ich hoffe, ich habe nicht…gewirkt“
- Du meckerst und beschwerst Dich, wenn Dir Unannehmlichkeiten entstehen, aber machst den Mund nicht auf
Fremdliebe vs. Selbstschutz
Bitte frag Dich für einen Moment: Mit welcher Motivation filterst Du das, was Du sagst?
Willst Du nicht der Mensch sein, der einem anderen erzählt, dass es das Christkind nicht gibt? Willst Du niemanden verletzen? Willst Du eine gute Arbeiterin/ Freundin/ Tochter sein und keine rebellische Aufrührerin?
Es tut mir leid, Dich enttäuschen zu müssen, wenn Du denkst, dass Du selbstlos die Interessen der anderen verfolgst.
Indem Du Deine Sprache filterst, willst Du zu 99% genau eines Menschen Haut retten: Deine eigene.
Der Filtermechanismus ist ein Selbstschutz-Mechanismus, mit dem Du Deinen guten Ruf erhalten willst, mit dem Du geliebt und anerkannt werden möchtest, immer auf die sichere Karte setzt, Dich unangreifbar machen und das Risiko der Zurückweisung vermeiden willst.
Ungefiltert sprechen – eine schlechte Idee?
Die Kontrolle zu verlieren macht Angst, weil wir dadurch Schlechtes nicht abwenden können.
Quelle
Ich bin der festen Überzeugung, dass gefilterte Sprache ein Instrument ist, das Du benutzt, um nur ja nicht die Kontrolle über eine Situation zu verlieren. Dein Filter besteht aus also aus purer Angst, nicht aus Liebe, aus Fürsorge oder Selbstlosigkeit.
Ungefiltert sprechen gibt Dir die Möglichkeit, den Menschen in Deinem Umfeld ganz klar zu sagen, was Du denkst.
Für mich war es bis vor einiger Zeit zum Beispiel ein Ding der Unmöglichkeit, einem anderen Menschen ins Gesicht zu sagen, wie sehr ich ihn mag. Und ja, auch so herum funktioniert dieser dämliche Filter.
Schriftlich war meistens kein Problem, aber je näher eine Person an mir dran war, desto schwieriger wurde es. Und wovor hatte ich Angst? Davor, mich verletzlich zu machen, davor, den anderen Angriffsfläche zu geben.
Ungefilterte Sprache bedeutet in großes Stück Vertrauen, in Dich und Dein Umfeld. Ja, natürlich machst Du Dich angreifbarer, Du machst Dich aber auch menschlicher, stärker und Du wirst Dich auch danach noch gerne im Spiegel anschauen.
Vor allem gibt sie auch Dir die wunderbare Möglichkeit, anderer Leute Bullshit anzuprangern, selbstverständlich immer unter Beachtung folgender Regeln konstruktiven Feedbacks:
- Informations-spezifisch, aufgabenorientiert und basierend auf Beobachtungen
- Direkt, kein Gerede um den heißen Brei
- Bleib auf der sachlichen Ebene und werde nicht persönlich
- Vermeidung von „müssen“-Aussagen, die unterschwellige Botschaften senden, dass etwas nicht in Ordnung ist
- Sei aufrichtig und vermeide Doppel-Botschaften (Ja, aber…)
- Wenn Du positives Feedback gibst, drücke Deine Anerkennung für Dein Gegenüber aus
- Wenn Du negatives Feedback gibst, drücke Besorgnis statt Ärger, Frustration, Enttäuschung oder Sarkasmus aus
- Äußere Dein Feedback nur von Angesicht zu Angesicht oder – wenn nötig – telefonisch, nicht per E-Mail, SMS, Chat o.ä.
- Stelle Beobachtungen und Fakten fest, nicht Deine persönlichen Interpretationen
Den Bullshit anderer Leute an den Pranger zu stellen (also nicht den Menschen an sich!), ist eine verdammt gute Erfahrung, auch ohne den Gesprächspartner Arschloch zu nennen, selbst wenn er es in Deinen Augen verdient hätte.
Durch sachliche Argumentation oder auch einfach nur in dem Du den Ball zurück spielst („Was meinen Sie damit genau?“), nutzt Du Deine ungefilterte Sprache zielführend für Dich.
Und das sollte ungefilterte Sprache unbedingt sein. Sonst bringt sie Dir genau gar nichts bzw. genau das, was der Filter sowieso schon erledigt hat. Wirklich angreifbar machst Du dich nämlich erst durch unsachliche Äußerungen oder solche, die unter die Gürtellinie gehen.
Sei offen für die Veränderung
Aus vollster Überzeugung kann ich Dir nur raten, Dich auf diesen Prozess einzulassen.
Es wird immer wieder Menschen und Situationen geben, die Deinen Filter wieder zum Vorschein bringen. Am Anfang wirst Du Dich ohne Filter unsicher fühlen und manchmal auch so, als hättest Du den einen gegen einen anderen ausgetauscht.
Und Du wirst die Nebenwirkungen der filterlosen Kommunikation kennenlernen. Manche Menschen werden vor den Kopf gestoßen sein, wenn Du plötzlich anfängst, ehrliches Feedback zu geben. Beziehungs- und Gruppendynamiken können sich verändern, wenn Du nicht mehr Little Miss Polite bist, sondern immer mehr zu Little Miss Honest (der Mann kann Dir hiervon ein Lied singen!).
Aber um Deiner selbst Willen wird es das Wert sein, das verspreche ich Dir!
Peter
Toll geschrieben! Das mit dem nicht sagen können das man jemanden mag kenne ich auch sehr gut.
Andrea
Vielen Dank, Peter 🙂 Da hilft nur eins: Üben, üben, üben. Kürzlich habe ich hinter ein „Ich liebe Schokolade…“ einfach ein „und Dich auch“ gehängt. Wird leichter 😀
Pia
Hallo Andrea.
Ich musste mich ein bisschen zwingen den Artikel komplett zu lesen. Was mir super gefallen hat, war, dass du sagtest man solle seine Meinung preisgeben, sachlich und unpersönlich. Der Teil, der mir weniger zugesagt hat, war der Part mit der Höflichkeit. Das war auch der Grund, warum mir das Lesen schwer fiel. Dies wird in meiner Ansicht dazu liegen. Denn ich finde es nicht unhöflich in passenden und ruhigen Momenten seine Meinung, wie von dir beschrieben, preiszugeben. Die Wortwahl und der Ton spielen da für mich die übergeordnete Rolle, ob etwas unhöflich ist.