Du stehst da und Dein Herz klopft.
Es ist Liebe auf den ersten Blick.
Vorsichtig berührst du sie mit Deinen Fingerspitzen und nimmst sie in die Arme.
Ihr seid füreinander bestimmt, das weißt Du. Wie lange hast Du nach ihr gesucht.
Deine Begleitung taucht wie aus dem Nichts auf.
Auch sie spürt sofort, dass ihr zusammen gehört.
Und dann sagt sie diesen einen schicksalsträchtigen Satz zu Dir: „Kauf die Tasche doch. Du hast sie Dir verdient!“
Manchmal schiebt sie noch ein „Du arbeitest doch so hart“ hinterher.
Trotzig presst Du die rosarote Brille fest auf Deine Nase.
Ja, du hast dir das verdient. Du arbeitest so hart. Das hier ist die perfekte Tasche.
Wen kümmert es, dass sie halb so viel kostet wie gesamte Deine Monatsmiete. Ihr seid füreinander gemacht!
Wer weiß, wann Du wieder so eine tolle Tasche findest.
Oder was, wenn sie ausverkauft ist, wenn Du das Geld gespart hast!
Die Falle
Die Tasche kannst Du beliebig durch alles andere ersetzen. Ein neues Paar Schuhe, eine Urlaubsreise, Kleidung, auswärts essen.
Sie alle fallen oft unter ein einziges Label: Die Ersatzbefriedigung.
Die Wahrheit ist, egal was Deine Mutter/ Schwester/ beste Freundin Dir sagt:
Du. Hast. Es. Dir. Nicht. Verdient.
Erinnerst du Dich noch daran, als in Deiner Kindheit am 6. Dezember ein bärtiger Mann (meistens der verkleidete Papa) Deine Karmapunkte ausgewertet und dann entschieden hat, ob Du Geschenke bekommst oder nicht?
Du bist erwachsen. Und doch spielst Du jeden Tag Nikolaus.
Du hast es Dir verdient. Dieser kleine Satz ist gefährlich.
Er suggeriert Dir immer wieder, dass Du für die „schweren“ Dinge in Deinem Leben einen materiellen Ausgleich brauchst.
Und vor allem suggeriert er Dir, dass es überhaupt etwas Materielles geben kann, dass diese Dinge ausgleicht.
Wie Du aus der Falle herauskommst
Kennst Du das, wenn Du nicht so recht weißt, was mit Dir los ist.
Wenn Du irgendwie unzufrieden mit allem und schlecht drauf bist.
Jemand fragt Dich, was los ist und Du antwortest „Ich weiß nicht.“
Und dann auf einmal fallen alle Teile des Puzzles an die richtige Stelle und Du sagst einen Satz, der ganz klar zeigt, was mit Dir los ist.
Ich hatte vor kurzem so ein Erlebnis.
Heraus kam folgender Satz (und zwar wortwörtlich):
Ich brauche keine Konsumgüter mehr um die Löcher in meiner Seele zu stopfen.
Und das ist auch genau das, was an „Du hast Dir das verdient“ so perfide ist.
Du kaufst und kaufst und im Grunde ist es, als würdest Du versuchen, ein sinkendes Boot mit Kaugummi zu stopfen.
Die eigentlichen Probleme liegen so viel tiefer.
Oberflächlich hattest Du einen harten Tag im Job und als Trösterchen gibt es nachher zwei Tüten voll Klamotten im Laden mit den zwei Buchstaben.
Oberflächlich hast Du Stress mit Deinem Freund und „gönnst“ Dir erstmal die zwei Paar Schuhe vom Onlineversand und noch ein drittes, das war ja im Angebot.
Merkst Du es?
Du kaufst mit dieser kleinen Ausrede Trostpflaster um Trostpflaster, aber das eigentliche Loch im Boot dichtest Du damit nicht ab.
Die schlechten Gefühle bleiben.
Die Unzufriedenheit bleibt.
Und dann kommen vielleicht auch noch Schuldgefühle dazu, weil Du Dein Konto überzogen hast.
Oder mit dem sechsten Paar Schuhe diese Woche nach Hause gekommen bist.
Du im Schrank Kleidung findest, an der das Preisschild noch dran ist.
Du auf Deinem Sofa vor lauter Kissen gar nicht mehr sitzen kannst (siehe Punkt 1)
Und die Ursache dieser Gefühle siehst Du Dir nie an.
Wie sollst Du sie auch finden hinter all den Klamotten, dem Make-Up, den Schuhen oder Einrichtungsgegenständen?
Nach allem was ich Dir bisher gesagt habe, kommt jetzt der Clou.
Du brauchst ganz unbedingt ein Belohnungssystem.
Du brauchst ein realistisches Belohnungssystem und das ist so ziemlich der wichtigste Tipp und Ratschlag, den ich Dir überhaupt jemals geben kann!
Im Klartext
Im ganzen vorherigen Artikel hätte ich auch genauso gut Ich statt Du schreiben können.
Ich war da, ich habe all das erlebt. Das Sofa war meins und die Online-Shopping-Orgien, die versteckten weißen Tüten mit roten Buchstaben drauf, die Bücher, der Modeschmuck…Das war alles ich.
„Das hast Du Dir verdient“ war mein Lebensmotto, meine Rechtfertigung, meine Ausrede.
Jahrelang.
In der Klinik sollte Schluss damit sein.
Und dann erzählten sie mir, dass ich mir Aufgaben überlegen und mich dafür belohnen soll.
Ich war entsetzt, aber dann habe ich verstanden, was ich jahrelang falsch gemacht habe.
Und wahrscheinlich geht es Dir genauso.
Du belohnst Dich nicht richtig.
Noch genauer gesagt: Du belohnst Dich nicht für die richtigen Dinge!
Warum ein realistisches Belohnungssystem so wichtig ist und wie Du Belohnungen richtig einsetzt
Das Konzept des realistischen Belohnungssystems ist im Grunde total einfach – und Du weißt, das sind mir die liebsten Tipps!
Anstatt Dich wie bisher für die Dinge zu belohnen, die schlecht laufen oder negativ sind (Streit, Frust, Traurigkeit, Perfektionismus…) belohnst Du Dich ab jetzt für die Dinge, die Du gut gemacht hast oder die positiv sind (erfolgreiches Gespräch, Überwindung, aufgehört zu prokrastinieren, Hürde genommen, über Dich hinausgewachsen…)
Stell Dir einfach mal einen Hund vor. Wenn Du einem Hund Sitz beibringen willst, funktioniert das nicht mit Druck (erzeugt Gegendruck) oder mit Angst oder mit Bestrafung oder indem Du ihn dafür lobst, dass er davonläuft oder sich auf den Rücken legt.
Sondern so: Der Hund pflanzt seinen Popo auf dem Boden und Du flippst aus vor Freude.
Im Englischen nennt man das Positive Reinforcement – also positive Verstärkung -und es muss nicht, wie im ursprünglichen Experiment von B.F. Skinner das Leckerchen sein, dass Du Dir in den Mund schiebst, wenn Du etwas gut gemacht hast.
Das Zauberwort, das jetzt noch fehlt, lautet: Wochenziele
Überlege Dir am besten jede Woche 3-5 Wochenziele.
Weniger ist zu unter-, mehr zu überambitioniert.
Das könnten z.B. sein:
- Bad gründlich putzen
- Finanzamt anrufen
- 3x abends spazieren gehen
- Essensplan für die nächste Woche erstellen
Drei wichtige Punkte sind:
- Deine Ziele messbar und machbar sind (Ergo: 25kg abnehmen ist KEIN realistisches Wochenziel und konzentrierter arbeiten auch nicht)
- Du Dir einen gewissen Zeitraum vornimmst, nachdem Du evaluierst, wie Deine Zielerfüllung geklappt hat
- Du einen Erfüllungsprozentsatz mit Dir selbst ausmachst (60% kann ich empfehlen, 25% ist wieder zu wenig fordernd, 100% zu hart)
Pass gut auf, dass Du nicht zu unnachgiebig zu Dir selbst bist.
Wenn Du nur 2x spazieren gehst, heißt das nicht, dass Du total versagt hast. Auch hier hättest Du die 60% gut eingehalten.
Für Deine Wochenziele überlegst Du Dir gleich wenn Du sie aufschreibst eine Belohnung.
Du solltest auch dabei nicht über die Stränge schlagen.
Eine Designer-Handtasche oder der 5*-Luxusurlaub wären wohl kaum eine realistische Belohnung für 1x Bad putzen, drei Spaziergänge und einen Anruf.
Das schöne hierbei: Es muss noch nicht mal etwas Materielles sein.
>>23 (fast) kostenlose Ideen, mit denen Du Dich belohnen kannst, findest Du hier!<<
Gerade wenn Du bisher dazu geneigt hast, die Löcher in Deiner Seele mit Shopping stopfen zu wollen, empfehle ich Dir, zu den kostenlosen Belohnungen zu greifen.
So hast Du etwas, worauf Du Dich freust und einen Ansporn, Deine Wochenziele auch wirklich zu erfüllen!
Alexandra
Abends spazieren zu gehen *ist* aber die Belohnung 😉
Aber im Ernst: schöner Artikel. Noch mehr kostenlose „Belohnungen“: Mittagessen auf dem Balkon, ein gutes Buch lesen mit einer Tasse Tee griffbereit, Austausch mit Freunden …
Andrea
😀 Liebe Alexandra,
da muss ich Dir recht geben! Bei mir ist es oft allerdings so, dass eher auf dem Sofa rumhängen die Belohnung nach einem langen Arbeitstag wäre. Deshalb wäre dann 3x den Hintern vom Sofa quälen und spazieren gehen durchaus ein Wochenziel 😉
Mittagessen auf dem Balkon gefällt mir! Wobei – bei den Temperaturen wahrscheinlich dann eher Abendessen, oder?
Liebe Grüße
Andrea