Bis vor einiger Zeit wäre ich eher vom 10-Meter-Turm gesprungen, als zuzugeben, dass Reisen Therapie ersetzen kann*. Aber inzwischen verstehe ich Carinas Aussage „Warum ich losreisen musste, um bei mir anzukommen“ viel besser.
Denn es erstaunt mich immer wieder, wie viele Lektionen England für mich parat gehalten hat.
Dabei war ich ja schon vorher im Land. Und wollte doch eigentlich nur Fish and Chips und Earl Grey satt ein bisschen herumtingeln.
Und jetzt? Fühle ich mich wie Hänsel und Gretel und sammle die leuchtenden Kieselsteinchen ein, die den Weg zu mir einer neuen Version meiner selbst markieren.
Andrea 2.9 oder so
Okay, okay, ich gebe zu, das war eine schamlose Anspielung auf meinen Geburtstag, der sich mit Siebenmeilenstiefeln nähert.
Ich mein es trotzdem ernst. Eines der hellsten Kieselsteinchen möchte ich heute ganz im Gretel-Style mit Dir teilen. Es ist einfach zu gut, um es für mich zu behalten.
Denn England lief überhaupt nicht nach Plan. Und das bin war? nie ich. Ich, die immer alles unter Kontrolle haben wollte.
Immer 200% durchgetaktet. 15:34 gelandet, 16:12 durch die Passkontrolle, damit ich um 17:00 meine Bahn erwische, die mich um 18:03 an die Station bringt, von der ich dann umsteige… You get the idea.
Keinen Plan zu haben hat mich nervös gemacht, ängstlich und manchmal sogar komplett aggressiv. So groß war die Angst vor dem Kontrollverlust.
Und dann kam die komplette Wende.
Es fing – wie so vieles – damit an, dass ich meinen Job kündigte. Plötzlich konnte ich mir sämtliche 168 Stunden der Woche selbst einteilen. Anfangs war ich völlig überfordert angesichts so viel praktisch unplanbarer Spontaneität.
Aber dann?
Blut geleckt
Immer stärker merke ich in den letzten Wochen (denn jetzt sind es schon mehr als 9!), dass ich angefixt bin.
Mir gefiel es plötzlich, in den Tag hineinzuleben. Klar, ich habe meine (supersupertollen) Kunden, für deren Projekte ich jede Woche arbeite. Wann ich das mache, das kann ich selbst entscheiden.
Klar, ich habe meine eigenen Projekte, an denen ich jede Woche feile. Wann? Yes, auch das entscheide ich selbst. Der Bauch ist Boss und ich liebe es.
Was sprach also dagegen, auch England so anzugehen? Mein Kopf natürlich. Ich plante und plante.
Aber soll ich Dir was sagen? Alles, was ich geplant habe, warf ich im Endeffekt wieder über den Haufen.
Sabotageakte
Denn heimlich, still und leise tat sich diese Kraft hervor. Sie sabotierte die Vorhaben in meinem Interesse. Wie damals meine Mutter, als ich mich mit 18 tätowieren lassen wollte und sie mich ganz subtil davon abgebracht hat. (Danke Mama!)
Ich vergaß, mein Interrailticket zu kaufen und dann noch einmal, es zu bestellen. Meine Gastmum hatte Urlaub und den wollte ich mit ihr verbringen. Mir war gar nicht nachherumreisen. Orte fühlten sich nicht gut an. Andere riefen dafür nach mir.
Und so ging es weiter, die ganze Zeit über.
Life is what happens while you’re busy making other plans.
-John Lennon
Dieses Zitat passt perfekt auf diese Wochen. Und ich lernte sie.
Meine Lektion, die ich in manchen Teilen schon verstanden hatte, in anderen aber noch nicht.
Und ich lernte sie nicht in einem Behandlungszimmer, sondern in Zügen. In Flugzeugen, in Wohnzimmern und an Stränden.
Denn ja, manche Lektionen sind Wege aus Brotkrumen. Und um sie wiederzufinden brauchen wir die Hilfe anderer Menschen. Aber dann gibt es sie, die Lektionen, die wir von niemandem lernen können.
Manche Lektionen lehrt uns nur das Leben. Wir klauben sie von der Erde auf, Kieselstein um Kieselstein. Und stehen plötzlich am Lebkuchenhaus des Lebens, an dem wir uns die Bäuche vollschlagen.
Und ich für meinen Teil bin noch lange nicht satt!
Bist Du’s?
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*Für mich persönlich hätte es das nicht gekonnt, ich bin froh, die Reihenfolge so gewählt zu haben! Erst Therapie, dann Reisen.
Den entscheidenden Anstoß zu diesem Artikel gab mir dieser Post über das Schmieden von Plänen von Anne Hufnagl.
Greta Silver
was für eine spannende Reise – zu sich selbst. Ja, da liegen die größten Abenteuer. Kann Dich soooo gut verstehen, mit dem Versuch, alles zu kontrollieren – das war auch mal meine sichere Bank. Aber wie Du schon so schön schreibst – manchmal ist das Leben so gnädig und holt uns da raus. Halleluja. Freiheit ist so ein kostbares Gut. Ich liebe sie.
Du hast so eine herrlich erfrischende Schreibe, nimmst an die Hand und zack ist man weg in anderen Welten. Herrlich.
Dir einen beschwingten Tag
herzlichst
Greta
Andrea
Wir haben inzwischen auch eine sehr schöne, wechselseitige Beziehung miteinander 😀 Früher hat sie mir Angst gemacht, aber ja! Zum Glück ist das vorbei 🙂
Danke für die Blumen <3
Alles Liebe
Andrea