Mein Leben lässt sich in zwei Phasen einteilen. Fast ein bisschen wie unsere Zeitrechnung.
Es gibt einmal die Zeit VK und die NK – vor der Klinik und nach der Klinik.
Mein VK-Ich hat sich nie getraut, seine Wünsche klar und deutlich zu äußern. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Du ähnliche Erfahrungen auch schon einmal gemacht hast.
Statt „Räum bitte die Spülmaschine aus“ sagst Du etwas wie „Die Spülmaschine ist fertig“ oder „Man müsste die Spülmaschine leermachen“.
Auf die Frage, ob Du Lust auf Kino hast, sagst Du nicht „Nein, habe ich nicht.“ sondern „Äh, hmm, ja, läuft da überhaupt was gescheites?“ oder „Ich kann heute leider nicht ins Kino gehen, weil ich erstens eine Popcornallergie hab und zweitens habe ich meinem Wellensittich versprochen, dass wir heute den ganzen Abend zu zweit verbringen.“
Das Disneyprinzessinnen-Syndrom
Wenn Du Dich jetzt angesprochen fühlst, ist das absolut kein Weltuntergang! Und auch kein Grund, peinlich berührt zu sein.
Nicht klar und deutlich kommunizieren zu können ist ein Problem, unter dem verdammt viele Frauen leiden.
Kannst Du Dich noch an die Märchen erinnern, die Dir früher erzählt wurden?
Der Prinz (weißes Pferd bla bla) liest seiner Prinzessin immer jeden Wunsch von den Augen ab.
Nehmen wir mal Aschenputtel. Anstatt dass sie dem Prinzen einfach erzählt, wer sie ist, ist sie mega geheimnisvoll und die Täubchen müssen ihr zur Hilfe eilen, als er ihre sympathischen Stiefschwestern mit den abgehackten Zehen zur Stadt hinausbefördert.
Die Gänsemagd klagt dem Ofen ihr Leid, anstatt zum König zu gehen und ihn darauf hinzuweisen, dass ihre Bedienstete sie über’s Ohr gehauen hat.
Diese Strategie mag vielleicht vor 500 Jahren funktioniert haben, heute kannst Du Dich aber nicht darauf verlassen, dass ein hilfreiches Täubchen Deinem Prinzen zugurrt, dass er die Spülmaschine ausräumen soll.
Ich habe in der Vergangenheit (VK) auch oft gehofft, dass der Mann jetzt aus meinem Gesicht lesen kann, was ich gerade brauche oder möchte.
Aber so funktioniert das Leben leider nicht.
Niemand kann für Dich sprechen. Das musst Du selbst machen.
Deine Mitmenschen können nicht hellsehen, so schön das manchmal auch wäre.
Du selbst kannst es ja auch nicht, oder?
Ich möchte Dir deshalb einige Strategien zur klaren Kommunikation vorstellen, die ich in der Nachklinik-Zeit lieben gelernt habe.
Die 4 Pfeiler erfolgreich Kommunikation
Man muss denken wie die wenigsten und reden wie die meisten.
Arthur Schopenhauer
Klarheit
Sag Deinen Mitmenschen ganz klar, was Du denkst und was Du willst.
- Benutze keine Fachwörter (die werden oft nur dazu eingesetzt um den Standesunterschied zwischen zwei Menschen darzustellen)
- Benutze keine Floskeln, sag „Bitte sei vorsichtig“ statt „Na Du weißt ja, Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste“
- Bediene Dich einfacher Sprache und kurzer Sätze
- Meide die Worte eigentlich, vielleicht, möglicherweise, relativ und eventuell – das sind unnötige Weichmacher für Deine Aussage
Ehrlichkeit verhindert Missverständnisse. Ehrlich!
-Wolfgang J. Reus
Ehrlichkeit
- Ehrlich heißt nicht gleich ungefiltert alles sagen was Du denkst
- Konstruktiv bleiben – Einen Textentwurf meiner Kollegin kommentierte jemand einmal mit „Das ist totaler Scheiß.“ Total ehrlich, aber total scheiße unkonstruktiv
- Wenn Du etwas besser weißt, darfst Du das auch sagen, Du musst nicht mit Deiner Meinung/ Deinem Wissen hinter dem Berg halten, damit Du anderen nicht die Tour vermasselst
- Und folglich nutze Dein Wissen und stütze Dich auf Fakten – „ich glaube“ auch vieles wenn der Tag lang ist, überzeugen wird das die wenigsten (und da schreibe ich aus Erfahrung)
Zuerst denken und dann reden, unbedachte Worte sind schwer zu korrigieren.
-Katharina Eisenlöffel
Empathie
- Vergiss nicht, Dir gegenüber sitzt ein Mensch mit Gefühlen, mit Träumen, mit wunden Punkten
- Wenn Du den neuen Lebenstraum Deiner besten Freundin (mit dem Surflehrer nach Bali abrauschen) gelinde gesagt waghalsig findest, nimm Dir einen Moment Zeit und versetze Dich in ihre Lage. Deine Reaktion wird dann sicher anders ausfallen.
- Klar kommunizieren soll nicht verletzend sein. Nein, Du musst Deine Aussagen nicht in Zucker wälzen, damit ja niemand beleidigt ist. Aber das Gefühl des Beleidigt seins entsteht oft, wenn Menschen sich angegriffen oder gekränkt fühlen, dem kannst Du entgegen wirken ohne Dich selbst darüber zu verlieren
Die größte Deutlichkeit war mir immer die größte Schönheit.
-Gotthold Ephraim Lessing
Deutlichkeit
- sprich klar in Ich-Botschaften
- keine Verschleierungstaktiken wie „man sollte/ müsste/ hätte“ oder durch die Brust ins Auge-Gerede – Rück raus mit der Sprache
- keine Rechtfertigungen und Ausreden – Du darfst lieber den Abend zuhause allein verbringen, als auf eine riesige Party zu gehen und Du darfst das auch genauso kommunizieren. Schiefe Blicke sind Dir da garantiert, aber lieber einen schiefen Blick als fünfzehn Minuten Rechtfertigungsmonolog!
- keine falschen Versprechungen – die helfen keinem, am allerwenigsten Dir selbst.
Schallplatte mit Sprung
Versuche, Deine Aussagen immer durch Deine Körpersprache, Mimik und Gestik zu unterstreichen. So transportierst Du eine klare und eindeutige Botschaft für Dein Gegenüber.
Wenn Du Deine Meinung sagst, Dir aber nicht sicher bist, ob Du das jetzt darfst und Dir schaut das schlechte Gewissen zu den Augen raus, merken das die anderen Menschen sofort. Das lässt sie zweifeln, unsicher oder auch hartnäckiger werden.
Wenn Du Deine Meinung klar, deutlich, empathisch und ehrlich geäußert hast und Deine Botschaft kommt nicht an, liegt das nicht immer nur an Dir und Deinen vermeintlichen verschiedenen Signalen.
Manche Menschen denken, dass sie ihr eigenes Anliegen nur oft genug wiederholen müssen um Dich dazu zu bringen, das zu tun, was sie wollen. Sie wollen Dich mürbe machen, bewusst oder unbewusst spielt keine Rolle.
Für solche Härtefälle gibt es einen einfachen Trick.
Die Schallplatte mit Sprung.
Stell Dir vor: Nachbar M blockiert mit seinem Auto immer Dein Auto und Du möchtest nicht jedes Mal klingeln müssen, wenn Du wegfahren willst – völlig legitim.
Du überlegst Dir einen Satz, der Deine Meinung knackig zum Ausdruck bringt. (z.B. Ich möchte nicht, dass Sie mein Auto blockieren, da ich so nicht wegfahren kann.)
Keine Rechtfertigung, keine Ausrede. Nur eine klare Ansage.
Wenn Dein Sparringspartner zum Zermürbungsangriff ansetzt, wiederholst Du immer wieder diesen Satz.
Das fühlt sich anfangs echt richtig doof an, aber Du ahnst ja nicht, wie wirkungsvoll diese Methode ist.
Mehr als 3x musste ich mein Sätzchen bisher nie aufsagen, bevor mein Gegenüber aufgegeben hat.
Das kleine Wörtchen Nein
Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Nein sagen.
Glaubt man den Zitaten (von Männern), die ich zum Nein sagen gefunden habe, haben wir Frauen ganz und gar kein Problem mit diesem Wörtchen und sagen zu allem stets laut und deutlich Nein.
Ich behaupte das Gegenteil.
Denn nicht nur mir sondern auch verdammt vielen jungen Frauen, die ich kenne, geht es anders.
Du sagst alles, um nur ja nicht Nein sagen zu müssen.
Weil Du:
- Angst hast, andere zu verletzen
- niemanden vor den Kopf stoßen willst
- keine Spielverderberin sein möchtest
- Angst hast, dass Dich keiner mehr lieb hat…
Nach allen Erfahrungen die ich gemacht habe, in der VK- und NK-Zeit kann ich Dir nur raten:
Sei nicht zu sparsam mit dem Wörtchen Nein.
Probiere es einfach mal aus. Wenn Du etwas nicht willst, nicht brauchst, nicht magst – sag Nein.
Du wirst erstaunt sein, wie befreiend diese vier Buchstaben sind. NEIN, Du sollst natürlich auch kein notorischer Nein-Sager werden, das ist fast so schlimm wie zu allem Ja und Amen zu sagen. Aber wenn Du nur ein bisschen so bist wie ich, besteht die Gefahr sowieso nicht.
Übrigens: Die Schallplatte mit Sprung bietet sich beim Nein sagen auch sehr gut an.
Das Thema Nein sagen ist wahnsinnig umfangreich und ich habe es absichtlich nur angerissen. Nein sagen ist so wichtig, dass es in den nächsten Wochen einen eigenen Artikel bekommt.
Und jetzt: Geh los und sag doch was Du willst – klar und deutlich!
Ich liebe diesen Artikel von Dir. Der ist so wichtig, dass man sich ihn eigentlich monatlich auf Wiedervorlage zum Lesen legen muss 🙂
Hallo liebe Andrea,
ich bin eben durch einen Pin eines deiner Artikel auf Pinterest auf deine Seite gestoßen. Und was soll ich sagen? Das war vor etwa einer Stunde und ich lese und lese und lese immer noch. Ich kann gar nicht damit aufhören, ich sauge alles in mich auf.
Deine Artikel sind so inspirierend, sie geben einem so viel Kraft. Deswegen möchte ich dir eins ans Herz legen: Höre bitte niemals damit auf. Was gibt’s schöneres, als dass jemand sagt „Nur wegen dir habe ich das geschafft. Du hast mir die Kraft dafür gegeben!“?
Hast du schon mal darüber nachgedacht, deine Website auch als App anzubieten? Dann hätte man deine Texte immer mit dabei und griffbereit, wenn man sie braucht und lesen will.
Ich wünsche dir alles Liebe
Melanie
Liebe Melanie,
Du hast mir gerade ein breites Lächeln auf’s Gesicht gezaubert. Ich danke Dir so sehr für Deine Worte und freue mich, dass Du hierher gefunden hast! <3
Bisher habe ich da noch gar nicht dran gedacht, ich spreche da mal mit meinem persönlichen Programmiere drüber 😉
Dir auch alles, alles Liebe!
Deine Andrea