Es gibt manche Menschen, denen würde selbst ich als Pazifistin gern gehörig eine hinter die Löffel geben. Aber da ich Ohrfeigen generell für eine schlechte Antwort selbst auf blöde Aussagen halte, habe ich in den letzten Jahren meine verbale Schlagfertigkeit trainiert.
Denn ja, ich bin der Überzeugung, dass Du Schlagfertigkeit lernen kannst und gleichzeitig auch das beste Beispiel dafür.
Meine häufigsten Trainingspartner waren entweder Traumbremsen, versuchten, mir das Leben schwer zu machen oder stellten übergriffige Fragen.
Bis vor knapp 2 Jahren wurde ich meistens knallrot im Gesicht, stammelte vor mich hin und ärgerte mich im Nachhinein schwarz über mich selbst. Schon wieder nix gesagt. Schon wieder wurde meine unsichtbare Grenze übertreten und ich hab sie wieder nicht aufrecht erhalten.
Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!
Im Gegensatz zu Walter Ulbricht 1961 haben wir tatsächlich keine Bauabsichten für eine Mauer. Denn hinter Mauern verkümmerst Du, hinter Mauern bist Du nicht in Sicherheit sondern eine Gefangene!
Aber wenn Du diese Gefühle kennst, die ich gerade beschrieben habe, weißt Du wovon ich rede. Deine Schlagfertigkeit hilft Dir dabei, eine Grenze zu ziehen.
Sie ist Deine Allzweckwaffe um anderen Menschen aufzuzeigen, dass sie bis hierhin gehen können, aber nicht weiter.
Viele der Situationen, in dene ich gerne was gesagt hätte, haben sich in mein Unterbewusstsein eingegraben. Die Nachbarin, die mich fragte, ob ich schwanger sei. (Da wollte ich das erste mal tatsächlich zuschlagen). Der Vermieter, der mich wie ein kleines Mädchen darauf hinwies, dass wir die Wohnung ja so hinterlassen, wie wir sie bekommen hatten. Der Kollege, der meine Krankheitsgeschichte ausgeplaudert hatte.
Wenn Du ein wenig in Dich gehst, stehen diese Situationen sicherlich auch da wie Mahnmäler. Und je nachdem wie sensibel Du bist, plagen sie Dich oft noch Monate oder Jahre später.
Deine Trainingspartner
Isn’t it fantastic that, almost free of charge, I’m surrounded by 55 assholes who are going to teach me a lot about myself?
-Stuart Wilde
Bevor wir uns in den Ring begeben, lass uns noch einen Blick auf die häufigsten Sparringspartner geben, an denen Du Deine neuen Boxhandschuhe ausprobieren kannst.
Funfact: Als Sparringspartner bezeichnet man „junge, aufstrebende Boxer, die etwas lernen möchten oder ältere Ringprofis, die nicht mehr ganz nach oben kommen können.“ Quelle
Beides passt – um bei den Boxmetaphern zu bleiben – wie die Faust aufs Auge.
Wie bereits erwähnt unterteile ich diesen speziellen Schlag Mensch in 3 Gruppen.
Die Traumbremsen, die Lebenschwermacher und die Übergriffigen.
Jeder der drei hat besondere Herausforderungen für Dich parat und lässt Dich unterschiedliche Techniken entwickeln, die Du nach belieben einsetzen kannst.
Die Traumbremse
sind der ADAC für die Crashtest-Dummies, die Deine größten Träume, Deine Vorhaben sind. Mit scheußlichem Realismus und unerträglicher Rationalität setzen sie Deine Träume in ein Auto und lassen dieses mit 200 Sachen vor eine Betonmauer fahren, nur um mal zu sehen, ob sie das überleben.
Sie sagen Dinge wie: „Hast Du Dir das auch gut überlegt?“, „Bist Du Dir sicher, dass das etwas werden kann?“, „Als gäbe es nicht schon genügend Schafzüchter in Island“ oder „Dieses Telefon hat zu viele Schwächen, als dass man es ernsthaft für die Kommunikation in Erwägung ziehen kann“ (aus einem Internen Memo von Western Union , 1876)
>Eine fantastische Antwort auf diese Traumbremsen findet auch Carina in ihrem Artikel zu Gegenstimmen.
Der Lebenschwermacher
hat oft Schnittpunkte mit der Traumbremse, wirkt aber auch noch in anderen Bereichen. Seine Hauptaufgabe ist es, Dir das Leben mal so richtig unangenehm zu machen. Sein Lebensmotto ist: „Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht.“
Er zeigt sich als Vorgesetzter, der auf seiner eingestaubten Methode besteht, statt Deine innovative Lösung auch nur in Erwägung zu ziehen, egal wie viel Zeit oder Geld sie der Firma sparen kann. Er zeigt sich in der Kollegin, die eigene Fehler auf Dich abwälzt um nur ja nicht selbst ins Kreuzfeuer zu geraten. Er zeigt sich im Nachbarn, dem Dein Blumenbeet zu bunt ist und 3 cm zu weit in den Gehsteig hineinragt.
Der Übergriffige
kennt keine Grenzen, kennt kein Pardon. Egal wie feinsäuberlich Du Deinen Grenzzaun aufstellst, der Übergriffige trampelt ihn mit Anlauf nieder und lässt sich noch nicht einmal zu einem müden „Huch“ herab.
Der Übergriffige ist die Nachbarin, die Dich fragt, wann ihr jetzt endlich mal ein Kind bekommt. Er ist der Kollege, der sich selbstverständlich die Stifte von Deinem Schreibtisch nimmt oder sich direkt hinter Dich stellt, während Du arbeitest. Er ist die Frau an der Kasse, die Dir mit dem Einkaufswagen in die Hacken fährt.
Welchen dieser Trainingspartner bist Du bisher begegnet?
Ab in den Ring
So, nachdem Du nun weißt, welche Gegenüber Dich erwarten können, geht es jetzt ans Eingemachte. Wir stellen jetzt den Trainingsplan für Dich auf.
Wahrscheinlich kommt er Dir zu einfach vor, zu kurz und kaum effektiv. Denn ja, er ist kurz und sehr einfach, er ist aber vor allem eines: Verflucht wirkungsvoll!
Neben der Schallplatte mit Sprung, der Technik, die Du bereits aus dem Artikel zu klarer Kommunikation kennst, gibt es nämlich nur eine einzige weitere Methode, die Deinen Schlagfertigkeitsmuskel auf Höchstleistung pusht.
Übung, Übung, Übung. (Und wow, sieht dieses Wort dämlich aus, wenn man es dreimal hintereinander schreibt.)
Alles, was ich getan habe, war folgendes:
Immer wenn ich in einer Situation nicht so reagiert habe, wie ich das gerne getan hätte. Immer, wenn ich mich hinterher über mich geärgert habe, immer wenn durch ein Gegenüber (meine) Grenzen überschritten wurden, habe ich diesen Moment für mich festgehalten.
Und dann habe ich ihn – zuerst mit meiner Therapeutin und inzwischen allein – so lange durchgespielt, bis ich mit dem Ergebnis zufrieden war. Ungefähr so, wie Du früher Britney Spears-Tanzroutinen geübt hast, bis Du sie perfekt imitieren konntest.
In dieser Trockenübung begibst Du Dich in Deinem Kopf noch einmal in die Situation.
Schau Dir zwei Punkte genau an: Wie ist sie abgelaufen (objektiv)? Wie hast Du sie für Dich bewertet (subjektiv)?
Und dann frag Dich: Was hättest Du gerne gesagt und welches Ergebnis hättest Du gerne erzielt?
(Falls Du noch mehr Informationen haben möchtest: Diese geniale Methode heißt CBASP, das dazugehörige Schema findest Du hier im grünen Kasten unter Therapie-Materialien als Download => Situationsanalyse mit Kieser Kreis)
Klarheit statt Krawall
Je öfter Du das tust und je mehr Du auslotest, wo sich Deine Grenzen befinden, desto klarer wirst Du in Deinem Handeln. Und je mehr dieser Trockenübungen Du in Deinem stillen Kämmerlein durchführst, desto sicherer wirst Du in Zukunft sein, sollte sich die Situation noch einmal ergeben.
Denn natürlich geht’s bei dieser Methode nicht darum, auf Krawall gebürstet zu sein. Sie dient nicht dazu, dass Du überall „Boxkämpfe“ wittern und diese mit verbalen Fäusten lösen sollst.
Durch das objektive Anschauen der Situation merkst Du häufig, dass Dein Gegenüber oft aus Unwissen, aus Angst (Stichwort Kontrollverlust) oder einfach ganz unbedarft handelt. Und das gibt Dir ganz anderen Möglichkeiten, darauf zu reagieren.
Einerseits kannst Du dann fünfe auch mal gerade sein lassen, wenn Du merkst, dass der Lebenschwermacher es nicht besser weiß.
Und andererseits bist Du so geübt (dank der Trockenübungen), dass Du in ähnlichen Situationen viel schneller und viel eindeutiger reagieren kannst.
Die Wahrscheinlichkeit ist nämlich hoch, dass die Traumbremse aus Deinem näheren Umfeld kommt oder der Übergriffige es nicht nur einmal probiert, sondern mehrmals.
Ganz präzise setzt Du ihnen so wieder Deine Grenze vor die Nase und machst ihnen deutlich, dass sie besser keinen Zehen mehr über diese Linie schieben.
55 kostenlose Lehrer
Wenn Du anfängst, „kontroverse“ Entscheidungen zu treffen, werden Dir viele dieser Menschen begegnen.
Kontrovers kann für viele auch schon ein neuer Haarschnitt sein, ganz eindeutig kontrovers (für Dein Umfeld!) sind aber diese Entscheidungen, die Du in erster Linie für Dich und ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten anderer triffst.
Nutze ihre Existenz für Dich, nutze sie um Dich an ihnen zu reiben (bitte nur im übertragenen Sinn, außer Du und sie wollen das anders) und an ihnen zu wachsen.
Und wenn gar nichts mehr hilft, hau ihnen eins über die Rübe!*
*Natürlich meine ich das auch nur buchstäblich!
Lia Rienzi
Interessantes Thema das du hier ansprichst.
Ich denke ein Teil hat immer mit uns selbst zu tun und wird uns so lange anstupsen, bis wir erkennen welches unser Part ist. Lernen wir Den anzunehmen und zu integrieren, werden wir wohl nur noch selten damit konfrontiert. Ich weiß aber auch aus eigener Erfahrung, dass es manchmal Jahre braucht und da kann einem unsere Schlagfertigkeit zur Seite stehen.
Danke dir,
Lia